Corona-Pandemie

Corona in Spanien: Wie Pedro Sánchez das Land aus der Krise ziehen will

Ralph Schulze11. November 2020
„Das Schlimmste kommt noch“. Aus der Corona-Krise droht in Spanien mehr und mehr eine Wirtschaftskrise zu werden.
„Das Schlimmste kommt noch“. Aus der Corona-Krise droht in Spanien mehr und mehr eine Wirtschaftskrise zu werden.
Kein anderes EU-Mitglied leidet wirtschaftlich so sehr unter der Corona-Pandemie wie Spanien. Die Regierung unter Ministerpräsident Pedro Sánchez stemmt sich gegen die Krise – und will sie nutzen, um das Land zu modernisieren.

„Das Schlimmste kommt noch“, sagt der Kioskbesitzer, der in Madrids Cityviertel Salamanca die Morgenzeitungen verkauft. Das Schlimmste, das ist für den Mann nicht die Coronakrise, sondern die Wirtschaftskatastrophe, die sich im Gefolge der Pandemie ausbreitet und in der spanischen Hauptstadt zunehmend sichtbar wird. Immer mehr Ladenlokale sind verrammelt. „Wegen Geschäftsaufgabe zu verkaufen“, steht an einem Schaufenster, hinter dem früher Schuhe angeboten wurden. „Wir mussten leider schließen“, informiert an der Ladentür des Friseurs nebenan ein weiteres Schild.

Auf Mallorca gleichen ganze Ortschaften Geisterstädten

Spaniens Einzelhandelsverband schätzt, dass landesweit in den vergangenen Monaten bereits mehr als 67.000 Läden dicht machten – rund 15 Prozent des Gesamtbestandes. Der Coronawelle folgt die Pleitewelle. Ähnlich schwarz sieht es in Madrids berühmter Kneipen- und Restaurantszene aus. Eines der jüngsten Opfer ist der Speisetempel „Zalacaín“, in dem auch die Königsfamilie gerne tafelte. Der Umsatz brach ein, die Kosten liefen weiter. „Ein Tsunami“, sagt bestürzt die Restaurantchefin.

Noch heftiger trifft es die Urlaubsinsel Mallorca, wo ganze Ortschaften Geisterstädten gleichen: Die meisten Hotels sind seit Frühjahr geschlossen. In 2020 kamen bisher 87 Prozent weniger ausländische Urlauber als im Vorjahr.  „Katastrophal“, klagt der Branchenverband Exceltur. „Ohne Tourismus stirbt die Insel“, sagen die Hoteliers. Mit dem Urlaubsgeschäft wird mehr als ein Drittel des Inselwohlstandes erwirtschaftet. Auch spanienweit ist der Tourismus mit zwölf Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung die wichtigste Einnahmequelle.

Gigantisches Hilfsprogramm gegen die größte Not

Bei so vielen Hiobsbotschaften ist es für Regierungschef Pedro Sánchez nicht einfach, Optimismus zu verbreiten. „Genauso, wie wir die erste Coronawelle bezwungen haben, werden wir auch die zweite besiegen“, verspricht der Sozialist. Doch auf der Straße überwiegt die Skepsis. Laut staatlichem CIS-Stimmungsbarometer schätzten 87 Prozent der Bürger die wirtschaftliche Lage als „schlecht“ oder „sehr schlecht“ ein.

Um die schlimmste Not zu lindern, hat Sánchez’ seit knapp einem Jahr regierende Koalition aus Sozialisten und der linksalternativen Partei Podemos ein gigantisches Hilfsprogramm verabschiedet: Insgesamt wurden 200 Milliarden Euro an Zuschüssen, Krediten und Bürgschaften bereitgestellt. Damit sollen vor allem kleine und mittlere Unternehmen, aber auch bedürftige Familien gestützt werden.

Kein anderes EU-Mitglied leidet wirtschaftlich so sehr unter der Pandemie wie Spanien. Wohl auch deswegen, weil das Königreich schon vor Beginn der Coronakrise auf schwachen Füßen stand. Die Folgen der Immobilien-, Banken- und Schuldenkrise, die das Land 2012 an den Rand der Staatspleite brachte, sind noch nicht verdaut. Und der große Reformstau, den Sánchez von seinem über Schmiergelder gestolperten konservativen Vorgänger Mariano Rajoy erbte, ist auch nicht hilfreich.

Sorgenvolle Blicke aus Brüssel nach Madrid

Die EU schaut entsprechend sorgenvoll nach Madrid. Brüssel erwartet für Spanien in 2020 einen Einbruch des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 12,4 Prozent. Zum Vergleich: Für Deutschland wird ein Rückgang von 5,6 Prozent vorausgesagt. Auch bei den übrigen Konjunkturdaten gehört Spanien zu den EU-Schlusslichtern: Die Arbeitslosigkeit stieg laut Eurostat im Herbst auf 16,5 Prozent – das ist mehr als doppelt so viel wie der EU-Schnitt, der zuletzt bei 7,5 lag. Bei den unter 25-Jährigen stehen sogar 40 Prozent der arbeitsfähigen Spanier auf der Straße. Wegen der Jobkrise nimmt die Armut zu, die Schlangen vor den Suppenküchen wachsen.

Durch Corona-Sonderausgaben und gigantische Steuerverluste explodiert zugleich die Staatsverschuldung, die Schätzungen zufolge bis Ende 2020 auf 120 Prozent des BIP wachsen wird – mehr als je zuvor. Bedenklich ist ebenfalls das Haushaltsdefizit, das dieses Jahr mit über zwölf Prozent einen neuen Minusrekord erreichen dürfte.

Immerhin hatte Sánchez’ Drängen in Brüssel, dass den besonders unter Corona leidenden Ländern großzügig unter die Arme gegriffen werden müsse, erheblichen Erfolg. Spanien wurden 140 Milliarden Euro an Hilfen und Krediten aus dem europäischen Wiederaufbaufonds zugesagt, davon müssen 72 Milliarden nicht zurückgezahlt werden – nur Italien bekommt noch mehr.

Spanien soll umweltfreundlicher, digitaler und gerechter werden

Ein Geldregen, den Sánchez nutzen will, um sein Land zu modernisieren. „Diese Krise ist eine Chance, um eine bessere Zukunft zu konstruieren“, sagt er. Spanien soll umweltfreundlicher, digitaler und sozial gerechter werden. Den größten Batzen, mehr als ein Drittel der Aufbauhilfen, will Sánchez in die Energiewende und den ökologischen Umbau investieren. Ein wichtiger Schwerpunkt. Das Mittelmeerland leidet jetzt schon unter dem Klimawandel mehr als andere EU-Staaten.

Umfragen zufolge sitzt Sánchez’ Minderheitskabinett nach dem ersten Amtsjahr halbwegs fest im Sattel. Vor allem die kleinen Regionalparteien im Parlament unterstützen ihn, auch die bürgerlich-liberale Partei Ciudadanos signalisiert neuerdings Kooperationsbereitschaft. Es besteht somit Hoffnung, dass der 48-jährige Sozialist bis Ende der vierjährigen Legislaturperiode durchhält und sein Reformwerk durchziehen kann. Sánchez’ Arbeitsmotto: „Spanien kann es schaffen.“ 

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