Corona-Krise

Corona und die Schulden: Vorwärts mit neuen Instrumenten statt Stillstand mit der alten Null

Jenseits der Schuldenbremsen: Die Bauteile für ein differenzierteres, stärkeres, und schmerzfreieres Bremssystem liegen bereits vor uns. Wir müssen sie nur noch umsetzen.
Jenseits der Schuldenbremsen: Die Bauteile für ein differenzierteres, stärkeres, und schmerzfreieres Bremssystem liegen bereits vor uns. Wir müssen sie nur noch umsetzen.
Um die Folgen der Corona-Krise zu bewältigen, nimmt die Bundesregierung neue Schulden auf. Sie einfach nur möglichst schnell zurückzahlen zu wollen, wäre falsch. Stattdessen sollten wir die Finanzpolitik auf eine schnellstmögliche und nachhaltige Rückkehr zur Vollbeschäftigung ausrichten – mit neuen Instrumenten.

Corona ist teuer. Um Menschen und Wirtschaft abzusichern, haben Staaten weltweit viel Geld in die Hand genommen. Jetzt, da das Abflachen der Infektionskurve vielerorts gelungen ist und erste Schritte der Lockerung gewagt werden, ist es ein guter Zeitpunkt zu fragen: Mit welcher Geld- und Finanzpolitik wollen wir nach Corona weitermachen und diese Kosten bewältigen?

Eine Antwort auf die Frage heißt: in Zukunft wieder sparen. Doch so einfach und schlüssig wie das klingt, ist es nicht. Exzessives Sparen kann kurzsichtig und kontraproduktiv sein. Denn Finanz- und Geldpolitik sind menschengemachte Buchhaltungs- und Steuerungssysteme, die die Realwirtschaft entweder fördern oder hindern können. Haushaltszahlen, ob rot oder schwarz, sind kein Selbstzweck. Weder öffentliche Schulden noch die Geldpolitik können per se gut oder schlecht, richtig oder falsch sein; sie müssen stattdessen stets anhand ihrer kurz-, mittel-, und langfristigen Konsequenzen für Beschäftigung, Produktivität, und Nachhaltigkeit bewertet werden.

Ist dauerhafte Verschuldung gefährlich?

Aus dieser Perspektive sind die Risiken eines „so schnell wie möglich“-Sparkurses klar erkennbar: Während in den USA, dem Vereinigten Königreich, und Japan die Arbeitslosigkeit nach 2009 rapide und konstant fiel, legte sich die Eurozone mit der Austeritätswende von 2010 eine zweite Rezession auf. Anstatt zu fallen, stieg die Arbeitslosigkeit so erneut und bis heute spürbar an.

Das Argument für eine längerfristig expansive Finanz- und Geldpolitik ist klar: Indem sie die Realwirtschaft ankurbelt, macht sie es möglich mehr Waren und Dienstleistungen zu produzieren, so dass es einfacher wird, die Kosten der Coronakrise schnell zu überwinden.

Aber ist dauerhafte Verschuldung nicht gefährlich? Oder andersherum gefragt: wenn eine expansive Politik Vollbeschäftigung, eine bessere Ausnutzung unserer Kapazitäten, und damit mehr Wohlstand ermöglicht, warum ist unsere Geld- und Finanzpolitik dann nicht permanent expansiv?

Hier muss zwischen einer echten und einer falschen Gefahr unterschieden werden. Die falsche Gefahr besteht darin, aus der Luft gegriffene Defizit- oder Schuldenzahlen zu überschreiten. Japan zum Beispiel hat einen Schuldenstand von 240 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts – viermal so hoch wie Deutschland und fast doppelt so hoch wie Italien—ohne dass dadurch die Wirtschaft leidet oder die Handlungsfähigkeit des Staates eingeschränkt wird. Umgekehrt erlebte der französische Staat in den frühen 80er Jahren mehr als 10% Inflation, mehrere Währungskrisen, und investitionsdrosselnde Zinsen von bis zu 22 Prozent, und das trotz eines Schuldenstandes von unter 30 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts.

Die wirkliche Gefahr heißt Inflation

Die reale Gefahr hingegen ist Inflation. Hohe Schulden können rein technisch stets durch Intervention der Zentralbank tragfähig gemacht werden, ob durch zinsenreduzierende Anleihekäufe auf dem Sekundärmarkt—sprich QE—oder durch die direkte Finanzierung von Staatsausgaben durch die Zentralbank, wie es gerade die Bank of England macht. Doch wer fiskal- oder geldpolitisch zu sehr aufs Gas drückt, der holt sich, wie in fast allen Industrienationen in den 1970ern geschehen, wachsende Inflation ins Haus. Dies kann, wie am Fall Frankreich sichtbar, sowohl bei hohen als auch niedrigen öffentlichen Schulden geschehen, abhängig von einer Vielzahl an Faktoren. Daher gilt: nur, wenn Inflation frühzeitig erkannt und wirksam bekämpft werden kann, kann verantwortungsvoll auf Vollbeschäftigung gezielt werden.

Die größten Hindernisse für eine vollbeschäftigungsorientierte Geld- und Finanzpolitik nach Corona sind also nicht Schulden oder Defizite, sondern die folgenden zwei: Erstens fehlt ein effektives Inflationsfrühwarnsystem. Unsere jetzigen Erhebungsmethoden sowie die normale Preis- und Lohnfluktuation einer dynamischen Wirtschaft erlauben uns erst einige Quartale nach Einsetzen eines Inflationsschubs zu erkennen, ob es sich dabei um eine vereinzelte Welle oder einen strukturellen Inflationsdruck handelt.

Es reicht nicht, die Schuldenbremse zu ersetzen

Zweitens besitzen wir de facto heute nur ein Mittel, um Inflation effektiv zu bremsen: die Makro-Klemme. Diese besteht darin, die Wirtschaft insgesamt zu drosseln, um so die Lohnentwicklung—ein wichtiger Inflationstreiber—mittels eines schwachen Arbeitsmarkts zu bremsen. Ob diese Drosselung durch höhere Steuern, weniger Staatsausgaben oder höhere und damit investitionsbremsende Zinsen geschieht, führt dabei zwar verteilungs- und wirtschaftspolitisch zu unterschiedlichen Konsequenzen, doch in jedem Fall ist es bittere Medizin: es ist stets der Schmerz im Arbeitsmarkt, der die Bremswirkung auf Löhne und so die Hauptwirkung auf Preise erzielt. So wird schnell klar, warum sich die Politik—bis tief ins linke Spektrum—nicht traut, geld- und wirtschaftspolitisch ernsthaft aufs Gas zu drücken und wirkliche Vollbeschäftigung zu erreichen, auch wenn dies gerade nach tiefen Einschnitten wie 2008 oder Corona höchst sinnvoll wäre.

Um Coronas wirtschaftliche Folgen schnell zu überwinden, reicht es also nicht, nur die Schuldenbremse durch eine volkswirtschaftlich sinnvolle Fiskalregel zu ersetzen—auch wenn dies dringend nötig ist—sondern es gilt vor allem, bessere und differenziertere Inflationsbremsen zu entwickeln. Bildlich gesprochen: Wer erst an der Mauer bremst, der fährt zurecht im Schritttempo. Doch wer sich gute Bremsen einbaut, der kann verantwortungsvoll vorankommen.

Alternative Ansätze gibt es genug

An vielversprechenden Ansätzen mangelt es nicht: unser statistischer Apparat könnte zum Beispiel mittels der verstärkten Nutzung digital verfügbarer Preisdaten—anstatt umfragebasierter Preisindizies – darauf ausgerichtet werden, Inflation detaillierter und schneller zu messen. Gleichzeitig könnten Standardanalysen eingeführt werden, um die Ursachen von sektor- oder ortsspezifischen Preisanstiegen näher zu bestimmen.

Wenn auf diese Weise bessere Inflationsdaten zur Verfügung stehen, könnte ein breites Instrumentarium verwendet werden, um Preisanstiege gezielt zu bekämpfen. Werden in einem Sektor oder an einem bestimmten Ort Preisanstiege festgestellt, die vor allem auf steigende Margen zurückzuführen sind, könnten jene zu Prioritätsfällen für die Wettbewerbsbehörden erklärt werden. Dort, wo die Ursachen im regionalen Fachkräftemangel liegen, könnten Mobilitätspauschalen, lokale Mietendeckel, und öffentliche Investitionen in Wohnraum und Infrastruktur Flaschenhälse beheben. Dort, wo die Ursachen in einem gesamtgesellschaftlichen Fachkräftemangel liegen, könnten gezielt und in Kooperation mit Gewerkschaften, IHKs und Arbeitgeberverbänden Aus- und Umbildungsmaßnahmen aufgesetzt werden.

Die Bauteile liegen bereits vor

Das geldpolitische Instrumentarium könnte genutzt werden, um Preisanstiege in einzelnen Anlageklassen, insbesondere im Wohnraum, entgegenzutreten, zum Beispiel indem die Kreditvergabe für bestimmte Zwecke gezielt an höhere Eigenkapital-anforderungen geknüpft wird. Auch kann Geldpolitik genutzt werden, um ohne zeitintensive Gesetzgebungsverfahren kurzfristig Kaufkraft aus dem Markt zu nehmen, zum Beispiel indem Sparern direkt bei der Zentralbank Festgeldkonten zugänglich gemacht werden, auf denen pro Kopf eine bestimmte Summe, z.B. bis zu 10.000 Euro, zu attraktiven Zinsen, z.B. drei bis fünf Prozent, angelegt werden kann.

Mit anderen Worten: die Bauteile für ein differenzierteres, stärkeres, und schmerzfreieres Bremssystem liegen bereits vor uns. Jetzt gilt es, sie so schnell wie möglich in unser geld- und finanzpolitisches Instrumentarium einzubauen, auch durch den Aufbau der erforderlichen Statistik- und Verwaltungsstrukturen. Wenn uns dies gelingt, können wir nach Corona schnellstmöglich zur Vollbeschäftigung zurückkehren—und dieses Mal ohne unfreiwillige Teilzeit, Scheinselbstständigkeit, und andere prekäre Arbeitsverhältnisse en masse—ohne uns von schwarzer Null, Schuldenbremsen oder ähnlich grobschlächtigen Maßnahmen aufhalten zu lassen.

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Kommentare

Preisanstiege per se nicht falsch !

Dass die "schwarze Null" falsch war, erkennnen wir nicht nur an einer desolaten u. (insbesondere bei Digitalisierung und Bahnverkehr) völlig unzureichenden Infrastruktur, sondern auch am Personalmangel in existentiell wichtigen Bereichen von Pflege über Bildung bis Sicherheit u. Justiz.
Ein Aberwitz ist, wenn dieser absurde Sparwahn gerade auf Kosten der prekär bezahlten und Beschäftigten ArbeitnehmerInnen, jetzt als "Corona-Vorsorge" deklariert wird ! Nur eine wirks. Besteuerung der Profiteure (von Ausbeutung d.Lebensgrundlagen u. menschl. Arbeitskraft) insbes. auch d. Digitalkonzerne und eine Abkehr v. umweltschädl. Subventionen hätte sinnvollerweise die Bilanz verbessern sollen.
Inflation: Preisanstiege sind per se nicht falsch, wenn sie d. entspr. politische Rahmensetzung an der richtigen Stelle erfolgen.
Hier sind an vorderster Stelle Nachhaltigkeits- und Gerechtigkeitskriterien anzusetzen, weil auf beid. Feldern der "Karren" kurz davor ist voll gegen die Mauer zu krachen. Bsp: Bauen: Einerseits hab. wir wg. überz. Anspr. (a. global) einen enormen Baulandverbrauch (einer d. "Corona"Auslöser !) andererseits kommen selbst Durchschnittsverdiener kaum noch zu Wohneigentum!!!

wie wollen Sie

den Anstieg von preisen bew4erkstelligen, wenn die dazugehörenden Güter im Ü*berfluss vorhanden sind?. Von Ausnahmen abgesehen- Wohnungen, ständige zunehmende der Einwohner bei ausgelasteter Bauwirtschaft, wird von allem Zuviel produziert. Da sind Preissteigerungen nur durch staatliche Maßnahmen- Strom gibt ein gutes Beispiel- zu erzielen.

Beispiel "Fleischdumping" !

Gerade am Beispiel der industriellen Landwirtschaft, Fleischskandalen und aktuell am Beispiel der menschenunwürdig untergebrachten Menschen die in Subunternehmen arbeiten die wiederum mit Werkverträgen geknebelt werden, können wir sehen wie Dumping-Preise zustande kommen ! Hinzu kommt das längst übermächtige Lebensmittelgiganten mit absurden Preisversprechen um Kundschaft buhlen ! Ein weiteres Problem ist die völlig übertriebene Exportorientierung unserer Agrar- und Fleischwirtschaft. Wir müssen also wieder verstärkt auf menschen- und tierwürdige, nachhaltige Versorgung im eigenen Land setzen oder wenn kurzfristig machbar innerhalb Europas. Dies kann nur mit entschiedenen konsequenten und in sich konsistenten Rahmensetzungen erfolgen ! Die Abkehr vom Prinzip des rücksichtslosen monetären Maximalprofites ist eine Frage des Wollens nicht des Könnens und wird angesichts der Zunahme von Auswüchsen und Katastrophen immer mehr eine Frage des Müssens ! Unser Kartellrecht muss dahingeh. überprüft werden, dass das Verbot jeglicher Absprachen mit dem Ziel maximalen monetären Wettbewerbes durch eine Pflicht zur gemeins. Einhaltung hoher (auch sozialer) Standards ergänzt wird! Preiserhöhung !

So viele Eigentore auf so engem Raum!

Wo bitte hat denn das massive QE-Programm der EZB in den letzten Jahren zu einem signifikanten Anstieg der Inflation geführt? Das Gegenteil war der Fall, wir konnten froh sein, der Deflation zu entgehen. Und das trotz QE. Doch der Autor schwadroniert von Inflationsgefahr.

Noch hanebüchener ist die Behauptung, die Lohnentwicklung sei ein Inflationstreiber. Wer diesen Unsinn in seine Weltsicht integriert, darf sich nicht wundern, dass er am Ende immer eine massive Schlagseite zu Gunsten der Kapitalinteressen hat. Weil dieses Postulat schlicht falsch ist. Eine Inflation ist von der Lohnentwicklung unabhängig und entsteht erst dann, wenn die Produktionskapazitäten z.B. durch ein QE-Programm, dass real in der Wirtschaft ankommt (und genau hieran hat es doch erkennbar gefehlt in den letzten Jahren) die Produktionskapazitäten überfordert werden (Nachfrage kann nicht befriedigt werden und gemessene Preise steigen).

Vernünftig wäre eine Steuerung von QE zu fordern, die in der Realwirtschaft ankommt und benötigte und zukunftsweisende Leistungen bezahlt.

Lediglich den Vorschlägen, Inflation differenzierter zu messen, kann ich hier was abgewinnen.