Instrument auf dem Prüfstand

Corona-Pandemie: Kurzarbeit als Exportschlager in der Krise

Benedikt Dittrich27. April 2020
Kurzarbeit kann Arbeitsplätze sichern – doch nicht alle profitieren gleichermaßen von dem Instrument.
Kurzarbeit kann Arbeitsplätze sichern – doch nicht alle profitieren gleichermaßen von dem Instrument.
Viele Länder nutzen Kurzarbeits-Modelle nach deutschem Vorbild, um ihrer Wirtschaft durch die Corona-Krise zu helfen, zeigt eine OECD-Analyse. Doch Arbeitsmarktexpert*innen fordern Nachbesserungen, vor allem für Geringverdiener*innen und Minijobber*innen.

Sebastian Königs, Ökonom bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), braucht nur zwei statistische Werte um die Dimensionen der Corona-Krise auf dem Arbeitsmarkt zu verdeutlichen: Im Vergleich zur Finanz- und Immobilienkrise 2008/2009 sind die Anträge auf Kurzarbeit in Deutschland rund 20 Mal höher, über 700.000 Unternehmen haben bisher angezeigt, dass sie voraussichtlich von Kurzarbeit betroffen sein werden und staatliche Unterstützung beantragt. Auf der anderen Seite des Atlantiks, in den USA, haben seit Mitte März rund 25 Millionen Menschen Anträge auf Arbeitslosenunterstützung beantragt. In der Hochphase der Krise 2008/2009 gab es nur rund eine Million solcher Anträge. „Das ist also mit der Finanzkrise absolut überhaupt nicht zu vergleichen“, erklärt Königs.

Das liegt laut Königs auch an der einzigartigen „Natur der Krise“: Die Corona-Pandemie, das ist jetzt schon klar, trifft jedes Land auf der Welt. Der OECD-Experte beschreibt es aus ökonomischer Sicht so: Auf die Gesundheitskrise folgte ein Angebotsschock, weil der Handel drastisch reduziert wurde und viele Arbeitnehmer*innen nicht mehr gebraucht wurden. Zeitgleich gab es einen Nachfrageschock, weil sowohl für den Privatkonsum das Gehalt fehlte und außerdem Unternehmen nun ihre Investitionen massiv einschränken.

Krisen-Instrument macht Schule

Entwicklungen, die die Staaten auf der ganzen Welt vor mehrere Herausforderungen gleichzeitig stellen. Es gibt aber quer durch die Länder ein Instrument, das sehr häufig genutzt wird: Die Unterstützung der Unternehmen bei Kurzarbeit, damit Mitarbeiter*innen nicht entlassen werden müssen und nach der Krise schnell wieder ihre Arbeit aufnehmen können. „Das hat in Deutschland und anderen Ländern in der Finanzkrise sehr gut geklappt und deswegen gibt es jetzt sehr viele Länder, die ähnliche Programme eingeführt oder ausgeweitet haben.“

In Österreich wurde eine zeitlich begrenzte „Corona-Kurzarbeit“ eingeführt, die Schweiz hat ihr existierendes Kurzarbeiter-Modell auf befristet beschäftigte Mitarbeiter ausgeweitet. „Auch Frankreich hat in dieser Krise massiv auf Kurzarbeit gesetzt“, erklärt Königs weiter. Die Leistungen seien deutlich erhöht worden, Geringverdiener*innen bekommen in dem Nachbarland als Kurzarbeitergeld bis zu 100 Prozent des vorherigen Gehaltes, auch Hausangestellte können davon profitieren. Auch in Ländern wie Südkorea und Japan gibt es vergleichbare Programme, wie die OECD in einem vor kurzem veröffentlichten Papier dargestellt hat.

Ob das in der Finanzkrise bereits erprobte Instrument auch jetzt ähnlich gut funktionieren wird, ist noch unklar. Doch auch in der Corona-Krise gilt sie laut Bernd Fitzenberger als „zentrales Instrument“ des Arbeitsmarktes. „Letztendlich friert es die bestehenden Strukturen ein“, erklärt der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), „um Arbeitsplätze zu sichern in Betrieben, die eine Zukunft haben.“ Der Charme des deutschen Modells sei außerdem die schlanke und flexible Steuerung, indem die Unternehmen Kurzarbeit melden und alles Weitere dann mit der Bundesagentur für Arbeit abwickeln. Außerdem gibt es bereits Branchen und Unternehmen, die das Kurzarbeitergeld von sich aus aufstocken oder entsprechende vertragliche Vereinbarungen mit ihren Mitarbeiter*innen getroffen haben.

Kurzarbeit nicht für alle existenzsichernd

Dennoch ist das deutsche Kurzarbeit-Modell auch nicht frei von Problemen, worauf Fitzenberger hinweist, beispielsweise bei der Höhe des ausgezahlten Gehalts. Der IAB-Direktor sieht konkret die Gefahr, dass Menschen aufgrund von Kurzarbeit in die Grundsicherung abrutschen können, also bei der Arbeitsagentur aufstocken müssten. Er plädiert deswegen für eine soziale Staffelung, die Geringverdiener*innen einen höheren Satz garantieren würde. Außerdem hält er eine Ausweitung der Kurzarbeit auf Minijobber*innen und neu eingestellte Mitarbeiter*innen für sinnvoll. „Das wird in der Diskussion häufig vergessen“, kritisiert er. „Menschen gerade am Rande des Arbeitsmarkts sind am wenigsten geschützt.“ Das sei in Wirtschaftskrisen außerdem eine typische Entwicklung, so der IAB-Direktor weiter. Ohnehin sieht Fitzenberger die Kurzarbeit nicht als Allheilmittel, das alle Folgen der gegenwärtigen Krise abzufedern vermag. „Wir werden mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit rechnen müssen“, sagt er, „aber nicht in dem Umfang wie in den USA.“

Dem stimmt auch Anke Hassel von der Hertie School of Governance zu, die ebenfalls Verbesserungen im Detail fordert. Die Wissenschaftlerin plädiert für einen Sockelbetrag, damit auch Geringverdiener*innen, die durch Kurzarbeit unterhalb des Existenzminimum rutschen, geschützt sind. Ein höherer Prozentualer Anteil bei der Kurzarbeit, wie er jüngst von der großen Koalition vereinbart wurde, würde dieser Gruppe nur wenig helfen. „In Frankreich wird wenigstens der Mindestlohn gezahlt“, ergänzt sie.  Sie befürchtet, dass im weiteren Verlauf der Krise deswegen die Ungleichheit in Deutschland weiter zunehmen wird.

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