Nach Corona

Community Organising: Die SPD sollte die Macht des Mitmachens für sich entdecken

Alfonso Pantisano07. September 2020
Zuhören, sich vernetzen und gemeinsames Handeln initiieren: Die SPD in Sachsen und ihr Vorsitzender Martin Dulig machen das mit der Küchentisch-Tour seit einigen Jahren sehr erfolgreich.
Zuhören, sich vernetzen und gemeinsames Handeln initiieren: Die SPD in Sachsen und ihr Vorsitzender Martin Dulig machen das mit der Küchentisch-Tour seit einigen Jahren sehr erfolgreich.
Corona hat unsere gewohnten Strukturen durcheinandergewirbelt. Das kann eine Chance für einen neuen Politikansatz sein. Zuhören, sich aktiv vernetzen und gemeinsames Handeln initiieren, das muss der Anspruch einer modernen Kommunal- und Landespolitik sein, gerade für die SPD.

Demokratie lebt vom Mitmachen und dennoch stellen wir immer wieder fest: Viele Menschen fühlen sich von der Politik weder gesehen noch gehört. Und manchmal sogar nicht einmal geschützt. Ich muss gestehen, dass es mir ähnlich ging, bevor ich mich in der SPD engagierte. Ich war hoch politisch und hatte dennoch das Gefühl, die Entscheidungsträger*innen hörten uns Lesben und Schwulen nicht zu und wir wären ihnen egal.

Diese Gefühle, dieses Misstrauen teilten andere in ähnlicher Form auch und sie führten dazu, dass sich viele aus meiner Community von der Politik und vor allem auch von der Sozialdemokratie entfernt haben. Ähnliche Entwicklungen konnten wir in den vergangenen zehn Jahr auch unter den Arbeitenden und Arbeitssuchenden bzw. unter Migrant*innen beobachten.

Wie wir Demokratie wieder erfahrbar machen

All das ist nicht neu: Demokratische Parteien, aber auch Gewerkschaften und Vereine verlieren stetig Mitglieder. Das Vertrauen in unsere politischen Institutionen ist zwar generell hoch, aber es ist insbesondere rechten Kräften gelungen, das Vertrauen in die Handlungsmacht von Politik und in die freie und kontrollierende Presselandschaft zu untergraben.

Wie groß der Riss ist, der durch unsere Gesellschaft geht, zeigt sich gerade in Zeiten der Corona-Pandemie. Viele Menschen verlieren sich in Traumwelten und irrationalen Theorien. Wie so vielen reicht es mir nicht, erschreckt daneben zu stehen oder aktiv gegenzuhalten. Das ist alles richtig, aber die große Frage bleibt: Wie finden wir als Gesellschaft wieder zusammen und wie machen wir Demokratie wieder erleb- und erfahrbar?

Eine Bewegung mit neuem Selbstbewusstsein

Ich bin dankbar, dass ich damals einen Weg raus aus meiner politischen Frustration gefunden und die Macht des Mitmachens erlebt habe: Ich habe mich mit Nachbar*innen, Freund*innen und den Menschen um mich herum solidarisiert und zusammengeschlossen. Wir hörten einander zu, recherchierten Möglichkeiten und Wege, unsere Situation zu verbessern, wir vernetzten uns mit anderen Menschen und Gruppen und wir organisierten uns.

Innerhalb weniger Wochen entstand daraus eine kraftvolle Bewegung, die sich mit neuem Selbstbewusstsein engagierte und sich Gehör verschaffte. Wie sehr hätte ich mir damals gewünscht, dass sozialdemokratische Lokalpolitiker*innen uns zuhören, unserer Energie aufnehmen und uns unterstützen.

Das Engagement in den Kiezen fördern

Gute lokale Politik vor Ort muss aber genau dazu in der Lage sein, dieses Engagement innerhalb der Kieze, diesen Willen für positive Veränderung in der Nachbarschaft zu fördern. Nur so lässt sich aus meiner Sicht eine echte offene, demokratische Gesellschaft bestärken. Gerade für Menschen, die sich benachteiligt fühlen, ist die Beteiligung an Gestaltungsprozessen von essentieller Bedeutung. Zuhören ist hier ein erster wichtiger Schritt.

Zugegeben: Zuhören ist das Schwierigste in der Kommunikation. Den verschiedenen Ansichten und Ideen, sowie den Sorgen und den Enttäuschungen der Menschen einen wertschätzenden Raum zu geben, ist nicht immer einfach, aber essentiell für gute und langjährige Beziehungen. Das gilt sowohl im Privat- und Geschäftsleben als auch in der Politik. Wer im politischen Alltag den Anspruch erhebt, sich um die Sorgen der Menschen kümmern zu wollen, muss das Zuhören sehr gut draufhaben. Genau das erwarten die Menschen von ihren Politiker*innen.

Es braucht Politiker*innen mit Leidenschaft

Gerade jetzt, wo die Pandemie die individuellen alltäglichen Strukturen der Menschen durcheinander gewirbelt hat, wo die Initiativen vor Ort nicht wie gewohnt ihrer Arbeit nachkommen können, wo Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeitgestaltung stark eingeschränkt sind und ihre Rückzugsorte teilweise wegbrechen, gerade jetzt braucht es Politiker*innen mit der Leidenschaft.

Gute kommunale Politik wird erst dann wahrgenommen, wenn sie sich auch um die kleinen Dinge kümmert. Die alleinerziehende Mutter braucht Lösungen und Unterstützung, wenn sie während der Pandemie ihr Kind nicht zur Kita bringen kann und dennoch zur Arbeit muss. Der Großvater, der aus Angst oder mangelnder Infrastruktur nicht mehr vor die Tür geht, braucht Angebote, die ihn einbinden und nicht vergessen. Die jungen Menschen, die nicht mehr im Verein oder am Wochenende im Club ihrer Energie ein Ventil geben können, brauchen als Ausgleich dringend neue Angebote.

Die Macht des Mitmachens organisieren

Das sind die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft, mit denen sich unsere Lokalpolitiker*innen neu auseinandersetzen müssen. Aber aus meiner Sicht eben nicht nur als Repräsentant*innen, die sich den Problemen für andere annehmen, sondern indem sie die Macht des Mitmachens erfahrbar machen und organisieren.

Der Weg dahin führt aus meiner Sicht nicht am Community Organising vorbei, einem Ansatz, der in den USA, Großbritannien, aber auch in Deutschland immer erfolgreicher praktiziert wird. Politische Vertreter*innen vernetzen sich hierbei mit den Menschen eines Kiezes oder eines Stadtteils mit dem Ziel, das Miteinander neu auszugestalten. Zuhören, aktiv vernetzen, gemeinsames Handeln zu initiieren, das muss der Anspruch einer modernen Kommunal- und Landespolitik sein – ein Ansatz, der z.B. sehr gut von der SPD Rheinland-Pfalz in Ludwigshafen umgesetzt wird.

Diese Strategie ist deshalb so wirkmächtig, weil sie die Menschen in ihren vielfältigen Kompetenzen bestärkt und sie darin unterstützt, sich selbst für ihre Anliegen einzusetzen. Wer daran anknüpft und gemeinsames Handeln ermöglicht, schafft gleichzeitig ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl und legt die Grundlage für eine lebendige Demokratie.

Der Kitt der Gesellschaft

Damit diese Arbeit auch gelingt, müssen die lokalen Projekte weiter gefördert werden. Die Communities der verschiedensten Bewegungen sind letztendlich der Kitt der Gesellschaft und sie leisten wichtige soziale, kulturelle Arbeit. Aus meiner Sicht ist es essentiell, dass wir uns hier als Politik weg von der Projektförderung bewegen und uns als SPD für dauerhafte Strukturförderungen stark machen.

Corona hat auch uns politisch Aktiven aus unserem gewohnten Trott rausgerissen. Wir haben alle gemerkt, dass wir neue Wege finden müssen, Politik zu machen. Ich hoffe, diese Erfahrung hat uns offener gemacht für neue Ideen und Ansätze. Wer sich als kommunal Verantwortliche mit mir auf den Weg machen möchte dazuzulernen und die Macht des Mitmachens spürbar werden zu lassen, darf sich gerne bei mir melden.

Es gibt für unsere SPD und unsere Politiker*innen vor Ort viel zu tun und zu organisieren – lasst uns gemeinsam an die Arbeit gehen!

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Kommentare

Leider wahr

Vieles was der Author beschreibt ist leider wahr, ohne daß er der Sache wirklich auf den Grund geht. Viele Verantwortliche, Funktions- und Mandatsträger*** sehen gar nicht mehr wo die normalen Bürger*** der Schuh drückt. Kritik, ob berechtigt oder nicht, wird auch hier im vorwärts vermittels Neti unter den Teppich gekehrt und jegliche Kritik an den herrschenden Zuständen wird vorschnell in die rechte Ecke gestellt. Umfassende Information, Transparenz und offene kontroverse Diskussionen sind Essenzen der Demokratie; die SPD hat die Verantwortung dies innerparteilich wie auch gesellschaftlich wieder vörwärts zu bringen. Sozialdemokrat**** müssen sich auch entscheiden können ob ihnen sozialdemokratische Grundwerte oder Staats- und Bündnisraison wichtiger sind. - Sagen was IST.
Rosa Luxemburg hat vor mehr als 100 Jahren analysiert woran es gerade bei der innerparteilichen Demokratie hapert und dies ist immer noch aktuell.
Ich gehe davon aus nicht gegen die Neti verstoßen zu haben.

Netiquette

Wie auf jeder Internetseite, gelten auch bei uns Regeln. Unsere Netiquette ist ein Regelwerk, das allen Kommentator*innen eine Diskussion in angenehmer und angstfreier Atmosphäre ermöglichen soll. Nach welchen Kriterien Kommentare gelöscht werden, wird transparent dargestellt. Wir verbitten uns, die Netiquette als Repressionsinstrument zur Unterdrückung von Kritik und Meinungen darzustellen!

Sagen was IST? Das sollte man

Sagen was IST? Das sollte man aber besser sein lassen, siehe beispielsweise Thilo.

Besser: Sagen was sein sollte/könnte/man sich wünscht und fühlt - also die Konstruktion eines abgehobenen Wohlfühl-Wolkenkuckuksheimes benennen. Die Zeit der Diskussion der kalten Realität, die ist vorbei. Gefühlte Wirklichkein und Nennung des nicht real Machbaren, das sind die neuen Tugenden, auch in unserer Pertei. Die Wünsche und Ziele des Malochers von Nebenan (ein günstiges Auto, mal in Urlaub, geringe Steuern, günstige Energieversorgung, gute Ausbildung der Kinder in guten Schulen mit kompatiblen Mitschülern, Sicherheit auch Abends auf der Straße etc.), diese Ziele scheinen inzwischen doch viele Genossen zu stören.

Meine Meinung.

Deine Meinung

Die rassistischen Thesen und das Unterschichtenbashing des genannten Herrn T. kann ich in keinster Weise teilen, aber bei den Wünschen des "Malochers von Nebenan" gebe ich Dir mal einfach Recht und das unabhängig von der Herkunft, Religion, Geschlecht ...... des Malochers.
Als ich jung war fragte mich meine Oma immer: "Hast Du ein Dach überm Kopf, hast Du warm, hast Du zu Essen, hast Du Arbeit (Geld), hast Du elektrisch". Damit hat sie genau die Faktoren sozialer Sicherheit benannt um die es für jeden Menschen geht. Damals dachte ich auch, daß ich mit solchen Zielen bei der SPD gut aufgehoben wäre.

Bürgerbeteiligung...

... ist ein Begriff,den die meisten BürgerInnen bisher allenfalls in baurechtlicher Hinsicht ein Begriff ist,wenn sie die Möglichkeit haben, nachdem sie evtl zufällig die diesbezügliche Mitteilung gestoßen sind, an der Beteiligung teilzunehmen ohne jegliche verbindlich Einflussnahme. Nach der derzeitigen Praxis wird der Begriff Bürgerbeteiligung meines Erachtens häufig in einer irreführenden Weise verwendet, da solche "Bürgerbeteiligung" oft dazu dient gerade diese zu verhindern. BürgerInnen werden oft als Verzögerer von Verwaltungsakten gesehen! Gerade Corona und die Protestbewegung aus gefühlt und tatsächlich Ausgeschlossenen, zeigt uns wohin uns eine solche Amtsauffassung führen kann! Eine gespaltene Gesellschaft ist eine Bedrohung für die Demokratie! Wirklich mitmachen können, nur das macht Demokratie erfahrbar und ist ihr bester Schutz ! Es braucht dafür neue Formate wie Bürgerräte (in solchem bin ich selbst aktiv !). In der Sendung Kontrovers im D-Funk v. 07.09.2020 plädierte Ralf-Uwe Beck v."Mehr Demokratie e.V." dafür. Die SPD täte gut daran solches zu unterstützen und sich mit Bürgerräten zu vernetzen!
https://www.deutschlandfunk.de/kontrovers.1768.de.html

Wer hat "die Rechten" denn aktiv gestärkt ?

Schon wieder sind es "die Rechten" die das schwindende Vertrauen in die sogenannte Demokratie zu verantworten haben sollen.
Diese nette Legende hat meiner Meinung nach nichts mit der Realität zu tun. Noch so viel rechte Propaganda könnte gar nicht greifen, würde sie nicht durch die Fehlhandlungen der Bundespolitik täglich neu bestätigt werden.

Wer glaubt denn Beteuerungen angeblich sozialer bzw. demokratischer Parteien und Politiker wenn deren Handeln weder sozial noch demokratisch ist ?
Wer glaubt daran, das Demos gegen den fortdauernden Ausnahmezustand tatsächlich wegen "Verstößen gegen Hygienemaßnahmen" verboten werden wenn im Bundestag und von Politikern eben diese Hygienemaßnahmen sehr oft nicht eingehalten werden ?

Führen durch Vorbild ist das einzige Gegenmittel das aus dem weiter schwindenden Zuspruch zu den ehemals etablierten Parteien eventuell herausführen kann.

Stattdessen eine jeder Diktatur würdige Arroganz, das Unfehlbarsprechen jedweder noch so abstruser Maßnahmen, kein Bewerten, kein Hinterfragen, kein Anpassen oder Verbessern.
Die "Alternativlosigkeit" als umfassende Demokratie- und (politische) Arbeitsverweigerung der Ära Merkel muß enden.