Wolfgang Ischinger, ehemaliger Botschafter in Washington und als Aufsichtsratsmitglied der Allianz Gastgeber des Abends, hatte in seiner Begrüßung zwar eine Steilvorlage geliefert: "Die
Politik hat lange um die Frage gerungen, ob unser Land ein Einwanderungsland ist, und jetzt fehlen uns die Einwanderer." Doch die Diskutanten nahmen den Ball nicht auf.
Das wurde schon im Einführungsreferat des Soziologen Ulrich Beck deutlich: Er stellte drei These zur Gegenwart und Zukunft der gesamten Europäischen Union in den Raum: Erstens bedürfe die
EU angesichts Ausländer-, Islam- und Europafeindlichkeit einer neuen Begründung. Zweitens kranke Europa an dem grundlegenden Selbstmissverständnis, dass EU und Nationalstaat gegensätzliche Pole
seien, woraus drittens folge, dass die Lösung in einem kosmopolitischen Europa mit einem neuen Souveränitätsbegriff liege. Auch wenn die folgende Diskussion diese Höhen der Abstraktion wieder
verlassen sollte, so kehrte sie nicht wirklich zum eigentlichen Thema des Abends zurück.
Damit war Shermin Langhoff aus dem Rennen: Die renommierte Theatermacherin hätte zu der ursprünglichen Fragestellung sicherlich viel beizutragen gehabt - gilt sie als künstlerische Leiterin
des Ballhauses Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg doch als eine der exponiertesten Vertreterinnen einer "postmigrantischen Kultur". Doch in der Debatte um die Grundprobleme der Europäischen Union
blieb ihr nur eine Statistenrolle.
Die Witze von "Dany le vert"
Die Hauptrollen des Abends sollten andere spielen. Den ersten Versuch unternahm der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit. Er ist bekannt als Dampfplauderer - und er machte diesem Ruf
alle Ehre: Den Auftakt seiner Ausführungen bildete ein flauer Scherz über die grüne Krawatte seines Nebenmannes, des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, und danach sank das Niveau noch deutlich.
Sich sichtlich in der Rolle des Buffo gefallend forderte "Dany le vert" in dem ihm eigenen Pathos, die Regierungschefs Europas sollten sich auf der Akropolis in Athen versammeln, um an der Wiege
der Demokratie ein feierliches Bekenntnis zur Rettung Griechenlands abzulegen. Doch es ging noch absurder: Allen Ernstes berichtete Cohn-Bendit von einem Traum, in dem ausgerechnet der
Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir als Regierender Bürgermeister Barack Obama von Berlin mutierte.
So blieb es Sigmar Gabriel vorbehalten, in diesem merkwürdigen Schauspiel den Part der ernsthaften Politik zu übernehmen, und das gelang ihm überzeugend. Er analysierte klar und präzise,
warum die Bevölkerung zurzeit wenig Vertrauen in die EU und ihre Institutionen hat: "Abstrakte Begründungen erreichen die Menschen nicht. Sie wollen vor allem drei Dinge: Selbstbestimmtheit für
ihr Leben, Sicherheit angesichts der fundamentalen Lebensrisiken und Sicherheit in einer solidarischen Gemeinschaft - aber all das können wir momentan nicht überzeugend anbieten."
Dies führte Gabriel auch auf einen sichtbaren Mangel an Gerechtigkeit zurück: "Wirtschaftlicher Erfolg wird privat vereinnahmt, Kosten und Verluste aber sozialisiert." Seine
Schlussfolgerung war ebenso einfach wie einleuchtend: "Auf alles wird in Europa Mehrwertsteuer fällig, nur nicht im Finanzsektor." Eine EU-weit gültige Transaktionssteuer werde nicht nur die
Einnahmen erhöhen, sondern auch die Akzeptanz der Union erhöhen. Doch sie sei freilich nicht das Allheilmittel. Gabriels Fazit: "Wir haben noch viel Arbeit vor uns."