
Ihr 54. Geburtstag wird wohl immer etwas Besonderes für Christine Lambrecht bleiben. Denn neben den Glückwünschen teilte ihr SPD-Interimsvorsitzende Malu Dreyer im Telefonat am 19. Juni 2019 mit, dass sie die Nachfolge von Katarina Barley als Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz antreten solle – „ein Gänsehautmoment“, erinnert sich Lambrecht. Denn: „Rechtspolitik ist mein Kernthema. Ich mache das unglaublich gerne.“ Als Ministerin könne und wolle sie „noch vieles auch für eine moderne Gesellschaftspolitik auf den Weg bringen“.
Keine Schonfrist
Die übliche Schonfrist zur Einarbeitung hatte die Süd-Hessin nicht. Wer zur Mitte der Legislaturperiode ins Amt kommt, muss schnelle eigene Duftmarken setzen und dafür sorgen, dass es nicht bei Ankündigungen bleibt.
Null Toleranz im Kampf gegen Antisemitismus und Extremismus – da ist sich die SPD-Justizministerin mit dem CSU-Innenminister einig: „Das Neun-Punkte-Programm zum verschärften Kampf gegen Hetze und Gewalt von rechts haben wir gerade gemeinsam erarbeitet. Über das Netzdurchsetzungsgesetz (NetzDG) wollen wir Plattform-Betreiber stärker in die Pflicht nehmen. Sperren oder Löschen reicht nicht, wenn in sozialen Netzwerken wild beleidigt, beschimpft oder bedroht wird. Künftig müssen die Betreiber strafbare Posts wie zum Beispiel Morddrohungen oder Volksverhetzung an das Bundeskriminalamt melden und so die Strafverfolgung ermöglichen.“
Keine Waffen für Extremisten
Außerdem: „Wer einen Waffenschein beantragt, löst künftig eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz aus.“ Das sei kein Generalverdacht gegenüber Jägern oder Sportschützen. Doch: „Waffen gehören nicht in die Hände von Extremisten“, sagt Lambrecht und macht Druck: Gesetzesvorlage bis Jahresende.
Durchsetzungsstärke bewies sie schon als Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion. Lambrecht mag eher zurückhaltend im Auftritt sein, doch in der Sache ist sie zupackend. Das hat der SPD-Linken beim Koalitionspartner Respekt eingebracht. „In den Bereichen, in denen wir zusammenarbeiten, läuft es sehr kollegial“, sagt sie nun über den CSU-Kabinettskollegen. Was Seehofers Entwurf zur Reform des Verfassungsschutzgesetzes angeht, hat die sozialdemokratische Justizministerin einen klaren Standpunkt: „Der Innenminister kann sich darauf verlassen, dass ich das konstruktiv begleite, aber auch klare Grenzen ziehe. Nicht alles, was die Dienste sich wünschen, ist auch verhältnismäßig.“
Schutz für Kommunalpolitiker
Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke war für sie eine echte Zäsur. Über eine Ergänzung im Paragraf 188 StGB will sie, die selbst mehr als 20 Jahre kommunalpolitisch aktiv war, erreichen, dass „künftig auch Kommunalpolitiker vollumfänglich denselben Schutz vor Verleumdung und übler Nachrede erhalten“ wie Bundes- und Landespolitiker. Der Kampf gegen rechts und Rassismus treibt sie um und an: „Diesen Kampf müssen wir überall aufnehmen, im Alltag, im Berufsleben, an den Stammtischen und auch in den Stadien.“
Überhaupt: Fußball ist für Lambrecht ein großes Thema: „Familiär bedingt und auch aus Überzeugung: Ich bin Anhänger der ‚Roten Teufel‘!“, bekennt sie sich zum 1. FC Kaiserslautern. Mit Sohn Alexander – 19, Jura-Student und Bayern-München-Mitglied – geht sie gern ins Stadion. Privat liebt Lambrecht neben Kochen und Krimis die großen Höhen – ob entspannt beim Bergwandern in den Dolomiten in frischer Südtiroler Bergluft oder alltags auf High-Heels unterwegs. Sie hat ein Faible für schicke Hochhackige, „nicht unter zehn Zentimetern – aber bequem müssen sie sein“.
Konkrete Verbesserung erreichen
Lambrecht ist „nicht in die Politik gegangen, um Papiere zu schreiben, sondern um konkret die Lebenssituation der Menschen zu verbessern. Das kann man am besten, wenn man in der Regierung ist“, sagt sie. „Parität in der Krankenversicherung wieder hergestellt, 5,5-Milliarden-Investition in das Gute-Kita-Gesetz, Bafög-Erhöhung, die 2,5-Milliarden-Hilfen vom Bund für mehr sozialen Wohnungsbau – eigentlich eine Länderaufgabe, für die wir sogar das Grundgesetz geändert haben – ,doppelte Haltelinie in der Rente eingezogen – unterm Strich haben wir für Jung wie Alt in unserem Land eine ganze Menge verändert in dieser Koalition.“ Das seien „gute Entscheidungen – und damit ist ja noch nicht Schluss. „Und die Grundrente kommt noch dazu, dafür haben wir als Sozialdemokraten hart gekämpft.“
Manchmal wird ihre Geduld in der Politik aber auch „auf die Probe gestellt“, gibt sie zu und lacht. Sie ist über die Anti-Atomkraft-Bewegung in die Politik und zur SPD gekommen. Den lang andauernden Kampf gegen Atomkraft hat sie von Anfang an unterstützt. „Biblis liegt in meinem Wahlkreis“, sagt sie. „2001 war ich dabei, als wir die Ausstiegsvereinbarung im Bundestag getroffen haben – nach 20 Jahren Kampf. Wenn sich Engagement am Ende gelohnt hat, das motiviert mich, darum mache ich Politik.“
Ein Projekt, das ihr als Bundesjustizministerin „besonders wichtig“ ist, ist die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz. Noch in diesem Jahr will sie den Gesetzesvorschlag vorlegen. „Denn Kinder sind eben keine kleinen Erwachsene. Sie verdienen unsere besondere Fürsorge und Berücksichtigung bei allen staatlichen Entscheidungen.“
Lob von Verbraucherschützern
Für Lambrechts Konsequenz im Verbraucherschutz gab es bereits Lob der obersten Verbraucherschützer. Auf den Weg gebracht habe sie bereits „faire Verbraucherverträge. Das wirkt gegen fragwürdige Geschäftsmodelle, in denen Menschen am Telefon bei Vertragsabschlüssen, z.B. für Strom oder Gas, überrumpelt werden“. Diesen Praktiken will sie Einhalt gebieten. „Solche Verträge müssen künftig noch einmal schriftlich vorgelegt werden, damit Verbraucher prüfen können, bevor sie endgültig zustimmen“, verspricht die Ministerin.
Von der neuen Führung der SPD erwartet Lambrecht vor allem, „dass sie diese Partei zusammenhält. Dass wieder miteinander diskutiert wird, nicht übereinander – das fordere ich vom neuen Duo.“ Den Schwung aus den Regionalkonferenzen, die gezeigt hätten, welche Bandbreite die SPD vorweisen könne, „müssen wir bewahren und mitnehmen“.