
Sie haben mit vier weiteren SPD-Abgeordneten – Miachael Schrodi, Wiebke Esdar, Sarah Ryglewski und Swen Schulz – ein Papier zur Wirtschaftspolitik geschrieben. Was war der Anlass dafür?
Es war eine Reaktion auf die neoliberale Politik der vergangenen 30 Jahre in Deutschland und Europa. Die Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsreformen haben mit dazu geführt, dass wir seit 1998 die Hälfte unserer Wähler verloren haben. Die Politik der Mitte hat nicht funktioniert. Deswegen fordern wir fünf Finanzpolitiker eine andere Wirtschaftspolitik, die der Mehrheit der Bevölkerung etwas bringt und nicht nur einigen Wenigen.
Was wollen Sie dem Modell des Neoliberalismus entgegensetzen?
Wir sind der Meinung, dass Wirtschaftspolitik anders geht. „Privat vor Staat“ ist gescheitert. Das freie Spiel der Marktkräfte führt zu starken sozialen Verwerfungen. Steigende Ungleichheit ist die Konsequenz eines ungezügelten Kapitalismus. Deshalb braucht es ein Regulativ, und das wollen wir im Gegensatz zur neoliberalen Politik setzen. Wir möchten den Kapitalismus zähmen, indem wir die Wirtschaft demokratisieren und den Wohlstand neu verteilen. Im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge (wie z.B. Wohnen, Pflege) muss hierfür die Renditeorientierung begrenzt werden. Wir wollen Ungleichheit abbauen. Je geringer die soziale Ungleichheit ist, desto höher ist der soziale Frieden. Keiner würde in Ländern investieren, in denen es Bürgerkriege oder starke soziale Konflikte gibt. Deswegen ist sozialer Frieden ein hohes Gut und auch ein Standortvorteil für Unternehmen.
Und wie wollen Sie den sozialen Frieden stärken?
Unser erwirtschafteter Wohlstand muss anders verteilt werden. Jede und jeder muss ein angemessenes Stück vom Kuchen abbekommen. Faire und gute Arbeitsbedingungen, aber auch eine existenzsichernde Rente gehören dazu. Ein Grundrecht auf bezahlbares Wohnen wie auch Sicherheit bei Invalidität und Arbeitslosigkeit müssen sozialdemokratische Versprechen sein. Und genau hierfür brauchen wir einen starken Staat.
Gleichzeitig scheint die Demokratisierung der Wirtschaft derzeitig deutlich schwieriger zu werden.
Der digitale Kapitalismus ist noch einmal eine größere Herausforderung. Im digitalen Bereich gibt es viele Beschäftigungsverhältnisse, die sehr prekär sind. Wir müssen dafür sorgen, dass Crowdworker wie Uber-Fahrer oder Plattformmitarbeiter sozial abgesichert sind. Ich finde den Vorschlag der Böckler-Stiftung sehr gut, wonach jeder Klick dazu führen soll, dass diese Plattformen in einen Sozialversicherungstopf einzahlen. Wir kämpfen auch dafür, dass der Organisationsgrad im Start-Up-Bereich steigt. Denn gewerkschaftliche Organisation führt dazu, dass Beschäftigte mehr Macht haben und mehr Mitspracherechte erkämpft werden können. Auch die Mitbestimmungsrechte müssen auf den Prüfstand. Willkürliche Standortverlagerungen auf Kosten der Beschäftigten darf es nicht geben.
Haben Arbeitnehmerechte und Mitbestimmung ein Imageproblem?
Man muss immer wieder sagen, wie wichtig gute und soziale abgesicherte Arbeit ist. Das müssen wir nicht nur in Deutschland, sondern europaweit umsetzen. Arbeitnehmerinnenrechte werden oftmals ausgehebelt und umgangen. Die Fluggesellschaft Ryanair hält sich nicht an die Schutzrechte der Beschäftigten. Wir haben jüngst die Betriebsratsgarantie beschlossen. Das ist eine gute Sache! Aber wir müssen europaweite für diese Schutzrechte kämpfen. Dafür muss man das dann als führende Nation auch im Europa-Rat fordern. Überall gewinnen die Rechtspopulisten an Zulauf. Einer der Hauptgründe ist, dass Europa die soziale Komponente sehr stark vernachlässigt hat. Damit wir Europa zusammenhalten, brauchen wir eine andere Politik; eine, die für die Menschen da ist. Dazu gehören auch gute Arbeit und gute Lebensverhältnisse.
Am Ende Ihres Papiers steht, dass die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen nicht nur volkswirtschaftlich sinnvoll, sondern auch wichtig für Europa seien. Warum?
Die Erfahrungen aus der neoliberalen Ära betreffen nicht nur Deutschland, sondern auch viele andere europäische Länder. Dort galt auch die Maxime, zu privatisieren und Sozialstandards abzubauen. Es gab keine Regeln für einen europäischen Mindestlohn, für eine Grundsicherung in jedem Land. Wir wollen den europäischen Zusammenhalt stärken, indem wir ein anderes Wirtschaftsmodell verfolgen – in ganz Europa.
Hilft sozialdemokratische Wirtschaftspolitik gegen Rechtspopulismus?
Ja. Viele Menschen haben das Gefühl, nicht genug zu verdienen und im Alter oder bei Arbeitslosigkeit nicht genug abgesichert zu sein. Wenn der Staat dem Versprechen nachkommt, die Menschen in Notsituationen abzusichern, warum sollten sie dann unzufrieden sein und Rechtspopulisten wählen? Aber einfache Antworten bringen da nicht viel. Wir müssen den Menschen deutlich machen, dass ein abgeschottetes Deutschland niemandem was bringt. Keiner würde mehr unsere Waren kaufen, die Wirtschaft würde schrumpfen, die Arbeitslosigkeit steigen und zu stärkeren sozialen Verwerfungen führen. Wir müssen den Menschen deutlich machen, dass unsere Zukunft in einem starken und solidarischen Europa liegt. In einem Europa, in dem wir die Herausforderungen der Zeit – Schutz von Menschen aus anderen Regionen – sehr wohl gemeinsam meistern können.
Sie fordern ein Investitionspaket 2040. Was stellen Sie sich darunter vor?
Deutschland lebt seit über zehn Jahren von seiner Substanz und auf Kosten der nächsten Generationen. Wir haben eine riesige Investitionslücke. Der notwendige Wandel zu einer sozial-ökologischen Wirtschaftsweise stockt. Das sieht man an zerfallenden Schulen, maroden Brücken und kaputten Straßen, fehlenden bezahlbaren Wohnungen. Für diese Zukunftsinvestitionen brauchen wir ein umfangreiches Investitionspaket 2040 des Bundes.
Bedeutet das zugleich den Abschied von der schwarzen Null?
Diesen Fetisch für die schwarze Null hat Wolfgang Schäuble stark betrieben. Ich weiß nicht, woher diese Fixierung auf einen ausgeglichenen Haushalt kommt. Es gibt kein Unternehmen, das einen ausgeglichenen Haushalt hat oder Investitionen aus seinem Eigenkapital finanziert. Warum soll der Staat in dieser Niedrigzinsphase an der schwarzen Null festhalten? Es ist für mich ökonomisch unerklärlich.
Und wie steht es um die Schuldenbremse?
Sie ist in der Verfassung verankert, aber es gibt einen gewissen Spielraum, nämlich 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das wären momentan etwa fünf Milliarden Euro pro Jahr. Das ist nicht viel. Deswegen muss auch die Debatte um die Schuldenbremse geführt werden. Sie wurde 2008 völlig ohne Not eingeführt. Wir sollten als Sozialdemokraten für eine Goldene Regel eintreten, die besagt, dass wir Schulden machen können, wenn wir mit dem Geld in die Zukunft investieren.
Wie wollen Sie das politisch umsetzen?
Wir bräuchten eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag, um die Schuldenbremse abzuschaffen. Das ist aktuell nicht realistisch. In der Frage der schwarzen Null hingegen sind immer mehr Wissenschaftler und Institute der Meinung, dass sie ökonomisch nicht sinnvoll ist. Dazu gehören auch das Institut der Deutschen Wirtschaft oder der BDI.