Gasknappheit

Wie die Bundesregierung die Energieversorgung sicherstellt

Benedikt DittrichJonas Jordan21. Juli 2022
Eine Baustelle beim Klimaschutz in Deutschland: Geheizt wird vielerorts mit Heizkraftwerken, die Kohle oder Gas verfeuern – wie in diesem Heizkraftwerk in Hannover.
Eine Baustelle beim Klimaschutz in Deutschland: Geheizt wird vielerorts mit Heizkraftwerken, die Kohle oder Gas verfeuern – wie in diesem Heizkraftwerk in Hannover.
Aufgrund des russischen Angriffskrieges steigen die Energiepreise deutlich an, die Versorgung wird unsicherer. Die Bundesregierung hat daher zahlreiche Maßnahmen ergriffen, insbesondere mit Blick auf den kommenden Winter. Ein Überblick.

Während bereits keine Kohle und zum Jahresende auch kein Öl mehr aus Russland importiert werden sollen, bleibt Erdgas in Deutschland das Sorgenkind. Denn mit Gas wird in Deutschland viel geheizt, die Industrie braucht es in der Produktion, außerdem können Gaskraftwerke die schwankende Strommengen aus Solar- und Windkraft gut ausgleichen. Vor Ausbruch des Krieges kam mehr als die Hälfte des in Deutschland benötigten Erdgases aus Russland. Davon will Deutschland sich möglichst schnell unabhängig machen – ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden, ohne dauerhaft steigende Energiepreise. Ein Überblick über die aktuelle Situation und bereits beschlossene Maßnahmen der Ampel.

Auch ohne Russland kommt Gas nach Deutschland

Selbst wenn die Gaslieferungen aus Russland vollständig eingestellt würden, wäre Deutschland nicht ganz abgeschnitten von Gas-Importen. Denn der zweitgrößte Importeur ist ein verlässlicher Partner: Norwegen. Über die Pipelines aus dem skandinavische Land kommt rund ein Drittel des benötigten Erdgases, die Bundesregierung hat früh über höhere Fördermengen verhandelt. Der sozialdemokratische Energieminister in Norwegen, Terje Aasland, hatte jüngst im Gespräch mit der „Wirtschaftswoche“ betont, Europa so gut wie möglich unterstützen zu wollen.

Trotzdem bleibt die Situation unsicher. Und so appelliert SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch – auch nachdem wieder Erdgas durch Nord Stream 1 nach Deutschland strömt: „Wir müssen weiter sparen.“ Neben der Versorgungssicherheit ginge es auch um die Bezahlbarkeit von Energie, so Miersch im Gespräch mit dem Sender „phoenix“ am Donnerstag. Um die Belastungen für Privathaushalte abzufedern, wurden bereits einige Maßnahmen beschlossen, auch die Rettung angeschlagener Energieversorgungsunternehmen ist nicht ausgeschlossen.

LNG: Neue Terminals für Flüssiggas

Neben Erdgas aus Norwegen erreicht auch Flüssiggas die deutschen Speicher – allerdings nicht auf direktem Weg: Die Bundesrepublik ist auf LNG-Terminals der europäischen Nachbarländer angewiesen, beispielsweise in den Niederlanden.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges macht Deutschland selbst Tempo: Mehrere LNG-Terminals sind in Planung, an Orten wie Wilhelmshaven und Brunsbüttel sollen bereits zum Jahreswechsel sogenannte schwimmende Terminals in Betrieb gehen, weitere Anlande-Stationen sind in Lubmin und Stade geplant.

Gasspeicher: 80 Prozent als Ziel für Oktober

Schon im Frühjahr waren die Gasspeicher in Deutschland beinahe leer. Der russische Gasversorger Gazprom hatte über Monate weniger Gas als üblich geliefert, zum Ende des Winters waren die Speicher nur noch zu 25 Prozent gefüllt. Um eine solche Situation künftig zu vermeiden, hat die Bundesregierung Mindestfüllstände für Gasspeicher vorgeschrieben: 80 Prozent im Oktober, 90 im November – geht es nach dem Wirtschaftsministerium, sollen diese Ziele sogar noch einmal angehoben werden.

(Update: Ab dem 29. Juli gelten neue Einspeicherziele: 85 Prozent im Oktober, 95 im November)

Außerdem wird Gazprom Stück für Stück die Kontrolle über Gasspeicher und Infrastruktur in Deutschland entzogen. Seit ein paar Monaten ist auch der „Notfallplan Gas“ aktiv: Verbrauch, Füllstände und weitere Faktoren werden seitdem genau beobachtet. Außerdem sollen Unternehmen und Gesellschaft durch verschiedene Maßnahmen dazu motiviert werden, weiter Gas zu sparen.

Seither füllen sich die Speicher wieder, Mitte Juli lag der Füllstand mit etwa 64 Prozent wieder im Schnitt. Aktuell gilt die zweite Stufe des Notfallplans Gas, die Alarmstufe. Direkte Eingriffe in den Markt und die Gasversorgung sind erst ab der dritten Stufe möglich – der Notfallstufe.

Reaktivierung Kohlkraftwerke

Wie viel Kohle gebraucht wird, ist noch unklar – vorsorglich hat die Bundesregierung aber die Möglichkeit geschaffen, Kohlekraftwerke aus der Reserve zu holen und wieder zur Energieerzeugung zu nutzen. Sie sollen vor allem Gaskraftwerke aus dem Strommarkt drängen und so beim Sparen helfen. Allerdings: Mehr Kohlestrom verschlechtert die CO2-Bilanz in der Energieerzeugung wieder.

Ohne Kohle dürfte es bei gleichbleibendem Energiemix und Verbrauch allerdings nicht gehen – obwohl dieser Eindruck bei der Debatte um die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke oft suggeriert wird.

Ausbau Erneuerbare Energien

Den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien hatte die Regierung schon zuvor zur Priorität erklärt. Das erste Gesetzespaket (Osterpaket) ist bereits beschlossene Sache. „Wir müssen den maximalen Ausbau der Erneuerbaren Energien vorantreiben, um eine Energiesouveränität herzustellen“, erklärt Miersch das primäre Ziel für die kommenden Jahre. Er hofft auch, dass fertiggestellte Anlagen schneller zertifiziert werden. Für Entlastung soll außerdem der vorgezogene Wegfall der EEG-Umlage auf den Strompreis sorgen.

Allerdings: Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien geht es vielmehr um das langfristige Ziel, auf das sich die Ampel schon im Koalitionsvertrag verständigt hat: die Transformation der gesamten Wirtschaft. Weg von fossilen Industrie, hin zu einer klimaneutralen. Bis dahin ist es noch ein langer Weg.

Energie europäisch denken

Dass die EU-Länder bei der Energieerzeugung aufeinander angewiesen sind, ist nicht nur bei den LNG-Terminals sichtbar. Das machte auch Miersch noch einmal klar: Aktuell habe man ein massives Problem mit Atomkraftwerken in Frankreich. „Wir liefern dort aktuell Energie hin, wir unterstützen uns gegenseitig.“ Der europäische Verbund müsse in dieser Krise eng zusammenstehen.

Jens Geier, Vorsitzender der SPD-Abgeordneten im Europaparlament, hatte deswegen auch jüngst den schnelleren Ausbau der europäischen Energieinfrastruktur gefordert.

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Kommentare

Weitsicht ?

Solange russisches Erdgas aus deutschen Speichern nach Polen gepumpt wird und von da nach Litauen und Co., solange halte ich die derzeitige Politik für ......... (achtung Netti).
LNG Terminals im Wattenmmeer - Naturschutz ade - aber solange es keine Verdichterstationen gibt, nur Absichtserklärungen mit meist fragwürdigen Regimen (Katar, Saudis, Alijew...), und nebenbei wo sind die Transportschiffe für Flüssiggas, solange entbehrt dieser Artikel einer gewissen Weitsicht.
Klar, der Stickstoffdünger Ammoniak (NH3) kann auch vermittels "erneuerbarem Wasserstoff" synthetisiert werden, aber mit Erdgas (Methan) geht das zur Zeit kostengünstiger. Haber und Bosch haben den Prozess ursprünglich dür klimafreundliche Kohle als Wasserstoffquelle entwickelt.
Wir brauchen wieder eine souveräne Energiepoltik wie sie Willy Brandt, Helmut Schmidt und auch Helmut Kohl noch gemacht haben, auch im kalten Krieg. Auch damals gab es Widerstand des befreundeten Auslands.