Ausgangssperre und Shutdown

Bundesnotbremse: Schon wieder keine „Corona-Diktatur“

Christian Rath12. April 2021
Bei ihrer Videokonferenz am Montag wollen Ministerpräsident*innen und Bundeskanzlerin die Corona-Notbremse ziehen. Was das genau bedeutet, ist allerdings noch unklar.
Die Bundesregierung will den Gesetzentwurf zur Corona-Notbremse am Dienstag im Bundeskabinett beschließen
Bei ihrer Videokonferenz am Montag wollen Ministerpräsident*innen und Bundeskanzlerin die Corona-Notbremse ziehen. Was das genau bedeutet, ist allerdings noch unklar.
Bei ihrer Videokonferenz am Montag wollen Ministerpräsident*innen und Bundeskanzlerin die Corona-Notbremse ziehen. Was das genau bedeutet, ist allerdings noch unklar.
Schafft die geplante Corona-„Notbremse“ den Föderalismus ab? Nein, denn die Regelungen greifen nur bei Inzidenzwerten über 100 und manches Bundesland dürfte vielleicht sogar froh sein, harte Einschnitte nicht selbst anordnen zu müssen.

Ist die geplante Bundesnotbremse für Städte und Kreise mit hoher Covid-Belastung ambitioniert genug? Oder greifen Ausgangssperre und Shutdown zu sehr in die Grundrechte von Bürger*innen und Unternehmen ein? Darüber kann und sollte man wie immer diskutieren und auch streiten. Wenn aber in sozialen Netzwerken behauptet wird, hier werde der Föderalismus abgeschafft oder sogar eine Merkel-Diktatur errichtet, ist das nicht ernstzunehmen.

Feste Regeln ab Inzidenzwert über 100

Bisher fassten die regelmäßigen Bund-Länder-Runden unverbindliche Beschlüsse, die von den Landesregierungen mehr oder weniger konsequent umgesetzt wurden. Bei der nun geplanten Notbremse ist all das nicht mehr erforderlich. Sobald ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt einen Inzidenzwert über 100 aufweist  – und das ist derzeit die Mehrheit – sollen automatisch gesetzlich festgelegte Regeln gelten.

Die Zentralisierung betrifft damit aber nur einen Teil der Pandemiebekämpfung. Ein Landkreis oder ein Bundesland kann weiter lockern, sofern die Zahlen vor Ort unter der Inzidenz von 100 bleiben. Nur bei höheren Inzidenzwerten soll die neue Bundesregelung eingreifen. Wenn aber die Zahl der Infektionen über 100 pro 100.000 Einwohner*innen und sieben Tagen liegt, dann ist eine Lockerung vermutlich ohnehin keine gute Idee. Manches Bundesland dürfte dann vielleicht sogar froh sein, wenn es die nächsten harten Einschnitte nicht selbst anordnen muss, sondern sich hinter einem Bundesgesetz verstecken kann.

Maßnahmen per Bundesgesetz demokratischer

Ganz sicher entsteht so aber keine Diktatur. Wenn der Bundestag ein Gesetz mit Maßnahmen selbst beschließt, ist dies sogar demokratischer, als wenn er deren Auswahl den Landesregierungen und deren Verordnungen überlässt.

Zwar steht den Bürger*innen gegen Maßnahmen, die im Gesetz stehen, nur noch der Weg zum Bundesverfassungsgericht offen. Das heißt aber auch: vor dem Gang nach Karlsruhe, muss nicht erst den Rechtsweg durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit absolviert werden. Das dürfte die Mehrheit der Deutschen wohl kaum erschrecken. Manche werden es womöglich als Vorteil ansehen, wenn das Bundesverfassungsgericht sich schneller und häufiger um Corona-Fragen kümmern muss.

weiterführender Artikel

Kommentare

Es scheint so, als behielte Arnold Vaatz recht.

A. Vaatz schrieb vor 8 Monaten u.a., dass bei nicht wenigen Bürger die Überzeugung wüchse, der Kampf gegen die SARS-CoV-2 Epidemie sei weniger ein Ziel der Politik als ein Instrument der Politik. Aufällig war und ist schon das Fehlen von medizinisch-naturwissenschaftlichen Kriterien bei der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Bundestag. Liesse man sämtliche verkindischenden Sprachmittel und -tricks [infantilisierende Rhetorik] weg, müsste man bei der Epidemiebekämpfung von schweren Grundrechtseingriffen und -einschränkungen schreiben. Da wurde und wird gar nicht mehr die Frage gestellt, warum den das Gesundheitswesen nicht massiv ausgebaut wurde, um der Epidemie Herr zu werden. Dass Bundesgesundheitsminister Spahn fachlich ungeeignet und überfordert ist, das Bundesgesundheitsministerium zu leiten und die Epidemie zu bekämpfen, ist allzu offensichtlich. Bundeskanzlerin Merkel aber entliess ihn nicht nur nicht umgehend und übernahm im Rahmen des Grundgesetzes [nationaler Notstand wegen Naturkatastrophe] selbst die Epidemieeindämmung, sondern schob alles auf die Ministerpräsidenten. Jetzt greift sie den Förderalismus und damit die Demokratie an.

Merkwürdige Schönrednerei

Dieser Kommentar wurde gelöscht, da er gegen die Netiquette verstößt. Dringende Bitte: Beachten Sie die Netiquette!

Und allein die Regierung und

Dieser Kommentar wurde gelöscht, da er gegen die Netiquette verstößt. Bitte beachten Sie die Netiquette!

Das passiert eben, wenn sich der Kanzlerkandidat

voreilig auf ein falsches politisches Ziel festlegt. Alle Teile der Partei müssen dann in diese Richtung marschieren, um den Kandidaten nicht zu beschädigen. Hier der Vorwärts, der doch tatsächlich behauptet, dass die Reduktion der Rechtsmittel auf das Verfassungsgericht und damit auf eine einzige Instanz ein Zugewinn an Rechtsstaatlichkeit sei. Und das die Länder über den Verlust an föderaler Eigenständigkeit eigentlich froh wären.

In Wahrheit ist es doch so: Der Inzidenzwert ist für die Steuerung pandemiepolitischer Maßnahmen vollkommen ungeeignet, weil er positive Testergebnisse losgelöst vom gesamten Testgeschehen zählt. Und jetzt wird er durch eine Gesetz auch noch geadelt und führt ab dem Schwellenwert von 100 zu automatischen massiven Grundrechtseingriffen. Und zwar künftig ohne dass sich eine Regierung durch eine politische Entscheidung eine Blöße geben müsste.

Von daher ist auch das dritte Argument eine Farce, dieses Bundesgesetz mache die Entscheidungen demokratischer. Das Gegenteil ist der Fall: Weitreichende Entscheidungen werden durch das Gesetz künftig nicht einmal mehr von der Regierung per Verordnung getroffen, sie folgen einem Automatismus.

Merkel Dikatatur

"Wenn aber in sozialen Netzwerken behauptet wird, hier werde der Föderalismus abgeschafft oder sogar eine Merkel-Diktatur errichtet, ist das nicht ernstzunehmen."

Das sollten sowohl SPD wie Union sehr ernst nehmen. Mit den Corona-Leugner habe ich nichts zu schaffen, aber wenn sogar der Rechtsweg behindert wird, wer hat schon 6.000 Euro für einen Anwalt für eine Klage in Karsruhe und Rechtsmittel muß einlegen können gegen einen Bußgeldbescheid.

Nein, bei Ausgangssperren, und das bei einem sehr niedrigen Wert,d er zudem andere Parameter nicht berücksichtigt und nur von Testanzahlen abhängig ist, ist eine rote Linie überschritten, die zu einem Wandel führen in der Bevölkerung. Ziviler Ungehorsam ist da Pflicht.

Und die Spitze des Unrechts ist ja dann noch, wenn Menschen mit vollem Impfschutz nicht ausgenommern werden.

Schönen Gruß an die Mini-Groko-Diktatur.

,

Inzidenz

Heiliger Inzidenzwert ! Dieser Wert wurde eingeführt um die medizinische Infrastruktur (Krankenhäuser und Personal) nicht zu überlasten - so verkündete die Politik, samt Drosten und Lauterbach, vor 14 Monaten. Jetzt geht es nur noch um diesen abstrakten Inzidenzwert. Es wäre ganz sinnvoll diesen Wert auf Landkreisebene an die vorhandenen Kapazitäten der medizinischen Infrastruktur zu koppeln und das der Bevölkerung auch vernünftig zu erklären.