Gastbeitrag von Malu Dreyer

Bürgerversicherung und Corona: Wie wir das Gesundheitssystem gerechter finanzieren

Malu Dreyer27. Juli 2020
Um die Corona-Krise zu bewältigen, brauchen wir ein leistungsfähiges Gesundheitssystem, das gerecht finanziert werden muss
Corona zeigt, wie wichtig ein leistungsfähiges Gesundheitssystem ist. Aber es muss auch angemessen und gerecht finanziert werden, betont Malu Dreyer. Die von der SPD seit langem geforderte Bürgerversicherung bleibe ein gutes Konzept dafür.

Sehr spürbar haben wir in den letzten Monaten, im Kampf gegen die Pandemie, Verzicht lernen müssen. Gemeinsam haben wir das ausgehalten, und unsere Disziplin bei der Einhaltung von Beschränkungen hat die Lockerungen der vergangenen Wochen überhaupt erst möglich gemacht. Wir müssen weiter bestmöglich die Waage halten zwischen dem Gesundheitsschutz auf der einen und den Freiheitsrechten auf der anderen Seite. Uns ist gemeinsam gelungen, die Ausweitung des Coronavirus zu bremsen, die Erkrankten gut zu versorgen und einen Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern. Und wie leistungsfähig unser Gesundheitssystem ist, hat die Corona-Krise deutlich gezeigt.

Gesundheitsschutz und Freiheitsrechte

Basis des Erfolgs bleibt der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD): Engagierte Menschen in den Gesundheitsämtern sorgen mit der systematischen Testung, mit der Begleitung und Beratung von Infizierten oder deren Kontaktpersonen und mit der konsequenten Nachverfolgung von Infek­tionsketten dafür, die Zahl der Neuinfektionen zu bremsen. Ich war überwältigt von der hohen Anzahl Freiwilliger, die die rheinlandpfälzischen Gesundheitsämter in der Hochphase der Pandemie unterstützt haben.

Auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sowie die Verantwortlichen in den Krankenhäusern haben schnell auf die Herausforderungen reagiert. In Rheinland-Pfalz setzt die Landesregierung gemeinsam mit den Krankenhäusern bei der stationären Versorgung COVID-19-Kranker auf Vernetzung und Kooperation: Die Kliniken stimmen sich in der Versorgung der ­Patienten ebenso ab wie bei der Qualifizierung des Personals und der Beschaffung von Material. Sie haben auf diese Weise ihre Intensiv- und Beatmungskapazitäten in kürzester Zeit erhöht und die Zahl der für die Intensivpflege zur Verfügung stehenden Personen um 2.000 aufgestockt. Das alles war nur möglich, weil alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gesundheits- und Pflegeberufen auch unter teilweise schwierigen Bedingungen im Einsatz waren.

Kein Schulgeld mehr für Azubis

Was lernen wir daraus? Zum einen, dass gesundheitliche Versorgung nur mit qualifizierten und engagierten Fachkräften funktioniert. In Rheinland-Pfalz führen wir seit Jahren Fachkräfte­initiativen durch, um vor allem die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen weiter zu verbessern. Wir werden ab dem Wintersemester 2020/21 Studienplätze für Bewerberinnen und Bewerber vorhalten, die sich zu einer späteren Tätigkeit im ÖGD verpflichten.

Auf Bundesebene muss das „Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe“ die Gesundheitsfachberufe modernisieren und beispielsweise die Ausbildung schulgeldfrei stellen. Aber es reicht nicht, neue Kräfte zu gewinnen, wir müssen auch ihre Arbeit stärker unterstützen und wertschätzen und damit die Attraktivität der Gesundheitsfachberufe steigern. Die in der Pandemie durch Bund und Länder ergriffenen Maßnahmen wie z.B. die Zahlung von Prämien sind erste wichtige Schritte. Es darf aber kein Einmaleffekt bleiben. Wir brauchen langfristig bessere Bedingungen. Das ist Solidarität.

Finanzierungssystem Fallpauschalen weiterentwickeln

Wir sehen zum anderen auch, dass ein leistungsfähiges Gesundheitssystem angemessen und gerecht finanziert sein muss: „There is no glory in prevention“, hat es der Virologe Christian Drosten in der Hochphase der Pandemie formuliert. Gerade die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig das Vorhalten stationärer Kapazitäten ist, um kurzfristig auf erhöhte Bedarfe reagieren zu können. Die damit verbundenen Kosten müssen – über aktuelle Ausgleichszahlungen hinaus – künftig angemessen finanziert werden. Hier ist der Bund bei der Weiterentwicklung des Finanzierungssystems mit Fallpauschalen gefordert. Auch das ist Solidarität. Auf Antrag von Rheinland-Pfalz hat eine von der Gesundheitsministerkonferenz eingesetzte Länder-Arbeitsgruppe einen Vorschlag erarbeitet, der Grundlage für eine bundesrechtliche Neuregelung sein soll.

Die Corona-Krise unterstreicht die Stärken des deutschen Föderalismus: Infektionsgeschehen, Akteure und Versorgungssituationen sind regional und lokal unterschiedlich. Und so unterschiedlich aber individuell haben die Länder darauf reagiert. Auch das stieß nicht immer auf Verständnis. Aber bis heute war es ein erfolgreicher Weg.

Ja zur Bürgerversicherung

Die Pandemie hat uns unsere eigene Verwundbarkeit in allen Bereichen des täglichen Lebens gelehrt. Alle Maßnahmen, alle Pläne, alle Rettungsschirme nutzen dem Menschen und der Gesellschaft nichts, wenn sie nicht gesund sind. Gesundheit und Gesundheitspolitik rücken einmal mehr in den Fokus globaler Anstrengungen. So gewinnt auch unsere alte Forderung eine neue Aktualität, dass die Finanzierung unseres Gesundheitssystems gerechter und solidarischer gestaltet werden muss.

Die von der SPD seit langem geforderte Bürgerversicherung bleibt ein gutes Konzept dafür. Zumindest sollten versicherungsfremde Leistungen wie z. B. die zunächst aus dem Gesundheitsfonds der Gesetzlichen Krankenversicherung finanzierten Corona-Tests ohne Symp­tome konsequent über Steuermittel finanziert werden. Das wäre bereits solidarischer, als sie allein den Beitragszahlern der Gesetzlichen Krankenversicherung zuzumuten.

Was bleibt? Krisen sind zu bewältigen, wenn man gut zusammenarbeitet, gemeinsam handelt, solidarisch denkt. Dass die Gesundheitseinrichtungen in Deutschland und auch in Rheinland-Pfalz die besonders betroffenen ­europäischen Freunde aus Frankreich und Italien vielfältig unterstützt ­haben, ist ein eindrucksvolles Beispiel und ­gelebte europäische Solidarität.

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Kommentare

Umkehr oder Holzweg

Die Vorschläge zur verbesserten Ausbildung in den Pflegeberufen finde ich gut ebenso wie die Finanzierung der Corona-Tests.
"Hier ist der Bund bei der Weiterentwicklung des Finanzierungssystems mit Fallpauschalen gefordert."
Also der Satz macht mich stutzig - Weiterentwicklung auf dem Holzweg ? Also ich persönlich bin für Abkehr davon.
Nebenbei fehlt in dem Beitrag die kritische Betrachtung des privatisierten Teils des Gesundheitssystems. Warum fällt es den Regierenden von der SPD immer so schwer Ross und Reiter zu benennen ?

Bürgerversicherung nur halbherzige Lösung

Der "lockdown" im März/April fand ja nicht statt, weil er nötig gewesen wäre (das geben die Zahlen nicht her), sondern weil die Politik Angst vor einer Überforderung des Gesundheitswesens hatte. Sie weiß also selber, dass das System fast kaputt gespart worden wäre.

Unser Art der Finanzierung macht das System anhängig vom Faktor Arbeit und damit sehr Konjunkturabhängig. Unabhängig von Corona werden wir also in den nächsten Jahren massive Probleme bei der Finanzierung haben. Stand jetzt hat die Politik für diese Herausforderung keine Lösung.

Die Bürgerversicherung wird m.E. die grundsätzlichen Probleme unseres Systems nicht nachhaltig und umfassend beheben. Es gäbe weiter Privatkliniken, und Ärzte müssen in ihren Praxen Profit erwirtschaften. Außerdem sollen Kassen weiter in einem "Wettbewerb" stehen. Ein besserer Ansatz wäre es, zu einem steuerfinanzierten System zu wechseln.

In einem solchen wäre das Thema Profit erledigt und es würde solidarisch von allen Bürgern finanziert werden. Außerdem gäbe es nicht mehr das Problem, unversicherte Menschen zu haben. Jeder Bürger hätte Anspruch auf Versorgung.

Warum eigentlich braucht es Katastrophen...

...bis in pcto. längst bekannter Systemmängel im Gesundheitssystem und auch anderswo, gehandelt wird?
Warum war die verbindliche Einführung einer Bürgerversicherung nicht bereits Grundvoraussetzung zum Eintritt in die Groko ?
Gerne versteckt sich die Groko hinter Parolen die belegen sollen, dass es andernorts (s. USA u. europ.Nachbarländer) noch viel schlimmer bestellt ist !
Ist das zukunftweisende Politik. Braucht es zukünftig weitere Katastrophen um längst aufgedeckte Systemmängel wenigstens ansatzweise zu beheben. Oder ist es noch schlimmer, dass es wieder einmal nur bei Symbolpolitik bleibt (s. Bonus f.Pflegekräfte) ! Warum ist die SPD nicht mutiger. Es ist offensichtlich dass für die ausschließlich kleinen sozialdemokratisch initiierten Fortschrittchen in der Groko sich die CDU/CSU die Lorbeeren abholt !
Die Bürgerversicherung muss noch vor Ablauf der aktuellen Groko, also vor der kommenden Bundestagswahl durchgesetzt werden, sonst geht unsere Partei unter !

ich kann es

nicht mehr hören, Bürgerversicherung. Sehen Sie sich um, dann werden sie erkennen, wie leichtfertig eine Vielzahl von Zeitgenossen ihre Gesundheit auf den Müll schmeissen. Rauchen , Alkohol und vieles anderes mehr. Und wenn es dann soweit ist, dann sollen die solidarisch sein, die ihre Gesundheit wertschätzen. Ohne mich, kann ich da nur sagen. Selbstverantwortung verlangt nach Selbstbeteiligung

Ergänzende Maßnahmen zur Finanzierung und Gesundheitsprävention

Was die Eigenverantwortung in der Gesundheitsvorsorge und deren Berücksichtigung bei der Finanzierung eines solidarischen Gesundheitssystems anbelangt, so haben Sie natürlich vollkommen Recht. Aber nur weil es momentan nicht funktioniert dürfen wir doch das noch Kind nicht mit dem Bade ausschütten! Was wäre denn die Alternative ? Das Weiterso !?
In dieser Frage muß der Kampf gegen das Rauchen, den Alkohol, gegen die Bequemlichkeit als werbeunterstütztes Lebensziel (alles mit dem Auto erledigen oder alles digital vom Sofa aus bestellen ?) und gegen einen ungesunden pervertierten alltäglichen Fleisch- und Zuckerkonsum mit anderen wirksameren Mitteln mutiger geführt werden !
Genau diese 4 Bereiche müssen durch massive Steueraufschläge verteuert werden und die Einnahmen daraus müssen der Bürgerversicherung zugeführt werden.
Eigentlich ganz einfach, oder ? Hier braucht es mal wieder nur den politischen Willen unserer gewählten VolksvertreterInnen !
Natürlich sollte es auch Werbeverbote und eindeutige Kennzeichnung durch - mit !!! für diese Bereiche geben, weil sie nicht nur schädlich für die Gesundheit der einzelnen Menschen sind, sondern schädlich für die gesamte Gesellschaft.

da machen Sie es

sich zu leicht. Es muss beim Verbraucher der schädlichen Substanzen angesetzt werden, denn es macht ja keinen Unterschied für die Gesundheit, ob versteuerter oder unversteuerter Alkohol /Tabak konsumiert wird. Mag sein, dass bei Zucker die Steuerschraube wirkt, eine allgemeine Gültigkeit hat sie nicht. Ich bin auch nicht Verfechter des bevormundenden Staats- jeder hat das Recht, sich selbst zu zerstören, aber die Folgen sollte er dann auch selbst tragen, jedenfalls spürbar.

Beitragsbemessungsgrenze abschaffen!

Ich möchte dass die Beitragsbemessungsgrenze (Info: https://www.krankenversicherung.net/beitragsbemessungsgrenze) abgeschafft wird.
Begründung:
Wir alle brauchen das Gesundheitswesen. Nicht nur zur Heilung der versicherten Person. Das Gesundheitswesen schützt uns auch darüber hinaus z.B. in dem es Epidemien verhindert.
Daher geht es nicht an dass jemand der nur den Mindestlohn bekommt 15% davon in die Krankenkasse einzahlen muss während jemand mit einem Jahreseinkommen von 2 * 56.250 € dank Beitragsbemessungsgrenze nur noch 7,5% davon einzahlt - nämlich genauso viel wie jemand mit 56.250 € Jahreseinkommen.
Es soll eine Progression wie bei der Einkommenssteuer geben. Und es sollen auch Gewinne erfasst werden. Dann werden die Beiträge zu KV für die meisten von uns plötzlich sehr günstig werden weil Großverdiener mehr zahlen.
Wie gesagt: Das Gesundheitswesen nutzen wir alle weit über die Heilung des Versicherten hinaus