vorwärts.de: Wann können Erneuerbare Energien die Kohlekraft ersetzen?
Norbert Glante: Die Wachstumsraten bei den alternativen Energien sind wirklich beachtlich. Gerade Brandenburg muss sich in Sachen Nutzung von alternativen Energien und Entwicklung von neuen
Techniken auch nicht verstecken.
Klar ist aber, dass wir auf die nächsten Jahre und Jahrzehnte nicht auf die Braunkohle verzichten können. Sie ist subventionsfrei und einheimisch, wir sind also importunabhängig. Man muss
eben damit umgehen, dass bei der Stromerzeugung mit Braunkohle mehr Kohlendioxid anfällt. Deswegen gibt es ja Versuche in Brandenburg, das CO2 abzuspalten und zu speichern.
Welche Rolle spielt die CO2-Abscheidetechnik, kurz CCS (Carbon Capture and Storage) für Brandenburg?
Die Technologie ist für Brandenburg wichtig, um die Braunkohleverstromung, die hier
stattfindet, zukunftsfähig zu machen. Damit meine ich, dass CCS in meinen Augen eine Brückentechnologie für die nächsten 50 bis 80 Jahre sein wird. Bisher dahin werden sicherlich andere
Energieformen wirtschaftlich sinnvoll nutzbar sein.
Ist die Technologie sicher? Ähnlich wie bei der Atomkraft wird ja der Abfallstoff, in diesem Fall das CO2, in den Boden eingelagert und man weiß nicht was in 100 Jahren damit
passiert.
Die Technologie gibt es schon lange am Markt. Neu ist, zum Beispiel im Versuchskraftwerk in schwarze Pumpe, dass die Technik an einem Kraftwerkstandort erprobt wird. Dort wird bereits CO2
abgeschieden. Was geklärt werden muss ist, wie man das CO2 transportiert und wie man es lagert. Dazu gibt es aktuell ein Gesetzgebungsverfahren.
Es muss aber auch deutlich gesagt werden, dass CO2 ein ungiftiger Stoff ist und nicht irgendein Müll, der verbuddelt wird. Es ist ein chemischer Rohstoff. Das Problem ist nur, dass er
momentan nicht in den Mengen verwendet werden kann, in denen er anfällt. Deswegen wird das CO2 unterirdisch gelagert.
Wie weit ist die CCS-Technologie in Europa verbreitet?
Deutschland und speziell Brandenburg ist bei CCS Spitzenreiter. Wir haben hier die erste Anlage, die der verstromten Braunkohle das CO2 entzieht. Das gibt es so woanders nicht. Wir müssen
aber zusehen, dass wir die Technologieführerschaft behalten. Es muss der Nachweiß erbracht werden, dass CCS auch in einem Großkraftwerk funktioniert. Dazu gibt es Vorbereitungen von Vattenfall
und RWE. In der EU sind insgesamt 12 CCS-Pilotanlagen geplant.
Wird es künftig Kraftwerksneubauten nur mit CO2-Abscheidung geben?
Wir haben uns auf europäischer Ebene noch nicht entschieden, ob wir vorschreiben dass ab einem bestimmten Datum alle Kraftwerke mit CCS ausgestattet werden sollen. Ich persönlich finde das
auch sinnvoll, weil wir ja erst schauen wollen, wie die Technik in großem Maßstab wirkt und ob der rechtliche Rahmen stimmt. Erst dann können wir vorschreiben, dass jedes neue Kraftwerk aber
einem bestimmten Datum damit ausgestattet werden muss.
In der EU bahnt sich eine Renaissance der Kernkraft an. Schweden hat angekündigt neue Kernkraftwerke bauen zu wollen, Frankreich und Italien haben jüngst eine Atomkooperation vereinbart.
Kann Deutschland vor diesem Hintergrund am Atomausstieg festhalten, oder muss neu nachgedacht werden?
Durchziehen kann Deutschland das. Wenn der Lissabonvertrag ratifiziert ist, wird die Energiepolitik in der EU zwar vergemeinschaftet, aber der nationale Energiemix bleibt dem
Mitgliedstaaten weiter überlassen. Deutschland kann also durchaus aussteigen. Dass der eine oder andere in Deutschland nun darüber nachdenkt, ob der Ausstieg in dieser Geschwindigkeit kommen
kann, ist normal. Deutschland hat aber entschieden und muss seine Entscheidung nicht wegen europäischer Gesetze ändern.
Die Grundsatzentscheidung zum Atomsausstieg war aber richtig?
Das Grundproblem bei der Kernkraft bleibt die Endlagerung der Abfallstoffe. Die ist eben deutlich riskanter als beispielsweise bei der Einlagerung von CO2. Beim Atommüll muss eine
Sicherheit für Jahrhunderte, Jahrtausende geschaffen werden. Das Problem ist bisher nicht gelöst. Es gibt dazu nur Ansätze in Finnland und der Schweiz. Kritisch bleibt natürlich auch die Frage
der Verbreitung von waffenfähigem radioaktivem Material.
Ich habe mal gewagt zu fragen, ob wir in Deutschland so schnell aussteigen können und so schnell die Kernenergie durch eine andere Energieform ersetzen können. Aber wenn alle sich
anstrengen und man akzeptiert, dass gewisse Preissteigerungen mit dem Ausstieg verbunden sind, wird es funktionieren.
In Deutschland wird gerade über die Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie gestritten. Warum dauert die Umsetzung, auch in den anderen Mitgliedstaaten, so lange?
In Deutschland gibt es vor allem wegen der föderalen Struktur Umsetzungsprobleme. Die Bundesländer haben da einen großen Teil mitzureden. Auch deswegen sind die Abstimmungen gerade in
einem großen Mitgliedsland wie Deutschland mit viel industrieller Produktion langwierig und schwierig.. In kleineren Ländern wie Dänemark oder Schweden geht das oft schneller.
Natürlich ist die Steigerung der Energieeffizienz das beste Mittel, um den Verbrauch zu senken und sich unabhängiger von Importen zu machen. Es gibt da viele Möglichkeiten, die sich aber
auch auf den Preis von Produkten auswirken können oder neue Probleme schaffen. Beispielsweise gibt es ja eine Diskussion um das Glühbirnenverbot, weil die Energiesparlampen Quecksilber
enthalten. In zehn Jahren könnten wir vielleicht ohnehin auf LED-Leuten umsteigen.
Wäre es nicht einfacher bei der Energieeffizienz auf freiwillige Vereinbarungen zu setzen?
Ich bin schon wegen meiner Sozialisation im Osten kein Anhänger von Zwangsmaßnahmen, aber bestimmte Prozesse müssen gesetzlich unterstützt werden. Beim Energiesparen kann man sicherlich
viel über den Preis machen. Wenn Energie teurer wird, sparen die Leute automatisch. Aber eine gesetzliche Flankierung ist nötig.
So beeinflusst beispielsweise die Kennzeichnung der Effizienzklasse bei Haushaltgeräten die Kaufentscheidung. Da muss es aber notwendigerweise eine Überarbeitung geben, damit die Bürgerinnen
und Bürger beim Kauf genau wissen, ob ein Gerät sparsamer ist als das andere. Wir brauchen eben eine gesunde Balance aus gesetzlichen Vorschriften und Freiwilligkeit.
Interview: Karsten Wiedemann