
Es ist ein dringend notwendiges Buch, ein ambitioniertes Projekt in sieben Sprachen: „Stimmen für Europa“, erschienen im Steidl Verlag. Einmalig. „Europa steht an einem historischen Wendepunkt“, schreibt Oskar Negt in seinem Vorwort. „Erschreckend ist es, mitzuerleben, dass manche Politiker den europäischen Einigungsprozess angesichts von Finanzproblemen als gescheitert betrachten oder ein Ende der Solidarität verkünden.“
Ein transnationales Europa
Negt und seine Mitautoren, Adam Ostrolski, Tom Kehrbaum und Christine Zeuner erheben ihre Stimmen für Europa: „Das Europa, von dem in diesem Buch die Rede ist, entwickelt sich transnational,“ schreiben sie. Die Menschen seien einander viel näher als manche Apologeten des Untergangs zu wissen glaubten.
Diese vier klugen Autoren halten in der gegenwärtigen schlimmen Verfassung fast aller politischen Institutionen in Europa den agierenden Politikern vor allem eines entgegen: Nachdenklichkeit darüber, womit wir es zu tun haben. Mit einer Krise. Sicher. Nur mit was für einer? Es scheint, vor allem nach der Lektüre dieses Buches, die Menschen in den europäischen Staaten sind überwiegend weiter, als es von der jeweiligen nationalen Politik wahrgenommen wird. Bei einigen massiven Gefährdungen durch vor allem rechte Bewegungen.
Oskar Negt schreibt, die Menschen würden nach Wahrheits- und Sicherheitsversprechen suchen: „Die Bindungen, die zerstört sind, zerstören allerdings nicht die Bindungsbedürfnisse. Und die Bindungsbedürfnisse sind nun leider bei vielen Menschen nicht darauf gerichtet, eine demokratische Verfasstheit der Gesellschaft zu fördern, sondern nehmen den Weg auch in rechtsradikale Entwicklungen, wo Wahrheit und Sicherheit versprochen werden, einfache Wahrheit, Kameradschaft Bindungen.“
Griechenland abkoppeln wäre ein Angriff auf Europa
Christiane Zeuner, Professorin für Erziehungswissenschaften in Hamburg, weist in diesem Zusammenhang auf das Konzept der Staatsbürgerschaft hin, das auf die Zeit der Entstehung der Nationalstatten zurückgehe: „Es impliziert gleichzeitig den Begriff des Dazugehörens und den der Ausgrenzung. Ausgegrenzt werden diejenigen, die aufgrund ihrer Vorfahren oder ihres abweichenden politischen, sozialen, ethnischen, kulturellen und sprachlichen Hintergrunds nicht als zugehörig zu einer Nation gelten.“
Die vier Autoren zeigen Zusammenhänge auf, sprechen Warnungen aus, in Bezug auf die aktuelle Situation. Zwei Beispiele dazu: Adam Ostrolski, der polnische Soziologe und Philosoph, fordert: „Wenn wir aus der Krise herauskommen und Europa retten wollen … dann ist es notwendig, die utopische Dimension der Politik zurückzubringen ... um das Prinzip der Hoffnung wiederzuerlangen.“ Dazu gehört für Oskar Negt auch, dass Griechenland nicht abgekoppelt wird. Für ihn wäre das ein Angriff auf die Seele Europas. Um die geht es in diesem Buch, dass, um es abschließend zu sagen, in jede Schulklasse gehört.
Oskar Negt, Tom Kehrbaum, Adam Ostolski und Christine Zeuner: „Stimmen für Europa. Ein Buch in sieben Sprachen“, Steidl Verlag, 488 Seiten, 15 Euro, ISBN 978-3-86930-759-6