BAMF-Affäre

Boris Pistorius: „Jetzt muss schnell gehandelt werden!“

Lars Haferkamp04. Juni 2018
Porträt des niedersächsichen Innenministers Boris Pistorius
Der niedersächsiche Innenminister Boris Pistorius fordert Konsequenzen aus der BAMF-Affäre.
Bereits 2017 soll Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Missstände im BAMF informiert gewesen sein. Umso entschlossenere Schritte sind nun nötig, fordert der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius im vorwärts-Interview.

Boris Pistorius, der Skandal um massenhaft fehlerhafte Asylbescheide und kriminelle Machenschaften beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weitet sich immer weiter aus. Wie ist ihre aktuelle Bewertung des Falles?

Wichtig ist jetzt, dass tatsächlich alles auf den Tisch kommt und das Bundesinnenministerium anhand dieser Informationen analysiert, was getan werden muss, um das BAMF als Behörde zukünftig so aufzustellen, dass die Fehlerquote äußerst gering ist, sie personell qualitativ und quantitativ angemessen ausgestattet ist und zukunftssicher arbeiten kann. Ich erwarte von Horst Seehofer, dass er diesen Prozess als Chefsache und mit höchster Priorität behandelt, wie er es vor dem Innenausschuss versprochen hat.  

In einer Sondersitzung hat der Innenausschuss des Bundestages zentrale Verantwortliche befragt. Welches Zwischenfazit ziehen Sie?

Ich sehe zumindest den Willen, die Probleme ernsthaft anzugehen. An seinen deutlichen Aussagen im Ausschuss wird sich Horst Seehofer messen lassen müssen. Jetzt muss er dafür sorgen, dass alles auf links gedreht und seriös und intensiv untersucht wird, damit das BAMF endlich so arbeiten kann, wie wir es von so einer wichtigen Behörde erwarten können.

Sind Sie mit der bisher gezeigten Aufklärungsbereitschaft zufrieden?

Die inneren Vorgänge im BMI insbesondere im April waren nach allem, was ich darüber gehört habe, nicht optimal. Entscheidend ist, wie gesagt, dass sich jetzt tatsächlich etwas ändert. Markige Worte sind das eine, jetzt muss dementsprechend gehandelt werden.  

Aus der Opposition wird die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses im Bundestag gefordert. Die SPD ist hier zurückhaltend. Warum?

Zunächst einmal ist das eine Frage, die ich selbst nicht mitzuentscheiden habe, sondern ausschließlich die Parlamentarier des Bundestages. Von außen betrachtet geht es mir darum, dass sämtliche Problematiken und Defizite im Zusammenhang mit dem Betrieb und der Organisation des BAMF jetzt schnell und gründlich vom Bundesinnenminister angegangen werden. Ein Ausschuss ist zwar zweifellos gründlich, ob er aber auch ausreichend schnell sein würde, lasse ich an dieser Stelle einmal offen.    

Viel Kritik konzentriert sich auf die Chefin des BAMF Jutta Cordt. Fordern Sie personelle Konsequenzen an der BAMF-Spitze?

Ich bin nicht in der Position, so etwas zu formulieren. Aber offenbar gab es an der Spitze des BAMF – auch seit Jutta Cordt Anfang 2017 im Amt war – einige Vorgänge, die man jetzt hinterfragen muss. Daraus muss der Bundesinnenminister als ihr Vorgesetzter natürlich seine Schlüsse ziehen und entscheiden, mit wem er die Zukunft des BAMF gestalten will.

Wie bewerten Sie das Agieren von Horst Seehofer als dem verantwortlichen Bundesminister?

Ich nehme wahr, dass er jetzt sehr offensiv formuliert hat, sich der Aufgabe stellen zu wollen. Jetzt ist wichtig, dass er das konsequent umsetzt. Daran wird er zu messen sein. 

Spielten in den nun diskutierten Fällen nicht der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière und der damalige Flüchtlingskoordinator von Angela Merkel, Bundesminister Peter Altmeier, eine viel größere Rolle?

Klar ist, dass beide im Wesentlichen in dem fraglichen Zeitraum die politische und operative Verantwortung getragen haben. Zu den Aufgaben des Bundesinnenministers gehört in der Analyse auch, das zu überprüfen. Klar ist: Die unfassbaren 55 Millionen Euro Steuergelder, die der damalige Leiter des BAMF Frank-Jürgen Weise für Berater ausgegeben hat, sind offensichtlich nicht nur verpufft, sondern haben zu einer Mentalität geführt, möglichst viel zu entscheiden. Dabei ist die Qualität in den Keller gegangen, was man nun nicht einfach den Mitarbeiten in die Schuhe schieben kann. Es wurde offensichtlich eine Kultur gefördert, Kritiker abzukanzeln, um bloß nicht den Abbau der Fälle zu gefährden. Frank-Jürgen Weise hätte sich lieber von seinen Mitarbeitern beraten lassen sollen. Zur Wahrheit gehört außerdem, dass Minister Thomas de Maizière bereits lange vor der Flüchtlingskrise versucht hat, das BAMF personell deutlich aufzustocken, was der damalige Finanzminister stets abgelehnt hat. Zu diesem Thema gab es im Jahr 2014 sogar eine Sitzung aller Innenminister im BMI, um diese Forderungen zu unterstützen – strategische Fehlentscheidungen mit dem fragwürdigen Ziel eines „schlanken Staates“, die sich später gerächt haben.

Die politische Gesamtverantwortung für die nun ans Licht kommenden Fehler der Flüchtlingspolitik trägt natürlich das Bundeskanzleramt – und hier letztlich die Kanzlerin selbst. Beide halten sich in der Affäre aber sehr bedeckt, als ginge sie das Ganze nichts an. Akzeptieren Sie dieses Abtauchen?

Ich denke, dass viele Deutsche – ich selbst eingeschlossen – von der Kanzlerin erwarten, sich dazu einmal konkret zu äußern.

Welche konkreten inhaltlichen Konsequenzen für die Flüchtlingspolitik fordern Sie nach den bisher bekannt gewordenen Missständen?

Das ist ein weites Feld, und es ist auch schon sehr viel passiert. Ich möchte daran erinnern, mit welchem Kraftakt wir – damit meine ich alle Bürger in diesem Land, die Behörden, die Ehrenamtlichen, auch Feuerwehr, THW und Bundeswehr – es vor allem im Herbst und Winter 2015 geschafft haben, Menschen aufzunehmen, ohne dass jemand bei Minusgraden auf der Straße schlafen musste. Was jetzt wichtig ist, ist, dass die Arbeit im Bereich Flüchtlinge und Asyl von den Behörden absolut seriös und rechtsstaatlich erledigt wird. Das muss das oberste Ziel in dieser Frage sein, damit auch den Rechtspopulisten, die immer noch von dem diffusen Kontrollverlust 2015 profitieren, der Wind aus den Segeln genommen wird.  

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Kommentare

es ist schon bemerkenswert,

wie ein in der Sache namhafter Genosse hier herumeiert. Wir haben staatsanwaltliche Ermittlungen- so dass die rasche Aufklärung der Fakten- zumal von einer umfänglich befugten Instanz - zu erwarten ist.
Ähnliche Befugnisse hat auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Vor dem Innenausschuss kann jeder aussagen, wenn er mag.
Wer angesichts dieser Ausgangslage die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses verweigert, muss sich vorhalten lassen, der vollständigen Aufklärung der Ursachen für die Wirkungen nicht zu wollen. Er vergibt sich zudem die Möglichkeit, den Untersuchungsauftrag "AFD Konform", dh so zu formulieren, dass die wohl auch für die Partei bzw ihre Protagonisten nicht rühmlichen Umstände im September 2015 nicht in den Vordergrund geraten. Aber hier gilt-das befürchte ich- mitgefangen, mitgehangen. Glaubwürdig ist es jedenfalls nicht, heute die für das zu kritisieren, was man selbst mit angeschoben hat. In der Zuwanderungseuphorie haben sich ja seinerzeit alle Parteien permanent zu übertreffen versucht. So jedenfalls ist es in der Öffentlichkeit angekommen.

in der

NEUEN OSNABRÜCKER ZEITUNG ist ein Pistorius Interview veröffentlicht- dass eine wesentlich realitätsnahere Sicht offenbart.
Das ist einerseits positiv, wirft andererseits aber auch einen Schatten auf den VORWÄRTS, der sich als Presseerzeugnis damit selbst in Frage stellt. Oder liegt es lediglich daran, das der Vorwärts weniger "scharf" fragt? Bessern würde dies auch nichts .

Eine Haltung haben, und dazu stehen, darauf kommt e es an. Lavieren sollen die anderen, wenn sie meinen das seit nützlich.

außer einer schnellen

außer einer schnellen Untersuchung und Problemlösung beim Bamf braucht es auch den tiefgründigeren Untersuchungsausschuss !
Es muss geprüft werden ob es vermeidbare Fehler gab und wer die Verantwortung dafür zu tragen hat !
War ein solcher Flüchtlingszustrom wirklich nicht einmal voraussehbar, und hätten sich die Behörden nicht schon Jahre vorher wappnen müssen ? Und was ist mit den zukünftigen Herausforderungen, etwa Klima- und Armutsflüchtlingen für deren Schicksal die reichen Länder, wie längst bekannt ist, ja eine besondere moralische Verantweortung tragen !?
Nur auf das lahme Europa zu zeigen oder gegenseitige politische Schuldzuweisung, wie es die Regierungsparteien tun, das genügt bei Weitem nicht ! Das Versagen von Bekämpfung und Verhinderung von Fluchtursachen bis zur Plete bei der solidarischen Flüchtlingsaufnahme und Verteilung sollte ebf.dringend einmal eingehend untersucht werden ! Auffallend ist dabei, dass Deutschland einst viele europäische Mittelmeerländer allein gelassen hat und sich durch Berufung auf die Dublin-Abkommen einen schlanken Fuß gemacht hat. Dadurch hat auch Deutschland indirekt tausende Tote im Mittelmeer auf dem Gewissen und den Zerfall der EU !

braucht es jetzt

einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

Genau so ist es , und das ist außerhalb des VORWÄRTS, nämlich in dem der NEUEN OSNABRÜCKER ZEITUNG gegebenen Interview auch die Auffassung des Herrn Pistorius.

Jetzt gilt es noch zu klären, warum er dies dem VORWÄRTS in dieser Deutlichkeit nicht hat sagen mögen.

Deutschland hat bisher nur

Deutschland hat bisher nur einen wirklich winzigen Teil der weltweiten Flüchtlinge aufgenommen und ist gleichzeitig für einen weitaus größeren Flüchtlingsstrom verantwortlich !! Länder wie Libanon u.a. nehmen um ein Vilefaches mehr an Flüchtlingen auf und das nicht nur kurzzeitig ! Beschämend ist die Unsolidarität von Teilen der EU, aber begründet auch durch die einstige Solidaritätsverweigerung Deutschlands in Berufung auf Dublin-Abkommen..Deutschland und Europa sind erwiesenermassen für zahlreiche Fluchtursachen mitverantwortlich.
Unkontrollierbare Waffenexporte und Hähnchenreste die nach Afrika geschickt werden und dort die regionalen Märkte zerstören sind nicht nur mir im Gedächtnis geblieben !
Es braucht einen Neuanfang nicht nur in der Asylpolitik. Auch die Art und das Mass der "Entwicklungshilfe" muß überdacht werden und die Waffenexporte müssen stark eingeschränkt werden (Wirtschaftsförderung geht auch anders !) .Handelsabkommen müssen darauf geprüft werden wie sie auf schwächere Märkte inbesondere in Entwicklungsländern wirken und Gesichtspunkte der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit müssen endlich beachtet werden !!

Redefreudiger Weise!

Warum hat dann der jetzt so redefreudige Weise der Öffentlichkeit über die Medien permanent Erfolgsmeldungen vorgegaukelt und damit den katastrophalen Zustand des BAMF verschleiert? Das irritiert, Herr Weise!
Warum sind die Medien diesen falschen Erfolgsmeldungen nicht nachgegangen, obwohl genügend Hinweise vorhanden waren, diese „Erfolge“ zu bezweifeln? Nur die übliche Kanzler-Schönwetter-Berichterstattung?
Wie konnte Seehofer noch vor wenigen Wochen, dem BAMF, also dem zentralen Steuerungsinstrument der Bundesregierung für das Management der „Flüchtlingsströme“, leichtfertig - wider besseres Wissen? - eine „gute Arbeit“ bescheinigen? Was für eine grandiose Fehleinschätzung eines abgehalfterten Politprofis!
Fragen über Fragen an die abgehalfterten grauen Stare:
https://youtu.be/pVa7Ptp3fy4

Erfolgsmeldungen

gab es auch vom Reichssender- bis zum 7.5.1945 wurde an allen Fronten gesiegt.

Erfolgsmeldungen sind per se unglaubwürdig

Verschleierungs-Quartett!

Da hat also das Verschleierungs-Quartett Weise, De Maizière, Altmaier und Merkel vor den letzen Bundestagswahlen den Wählern nicht nur den katastrophalen Zustand des BAMF verschleiert. Nein, sie besaßen auch noch die Chuzpe aus dem Negativ-Bild ein Positiv-Bild zu zaubern, indem sie dafür sorgten, dass die Fallzahlen der Asylantragsbearbeitungen stiegen - Quantität auf Kosten der Qualität und in Folge zu Lasten der Verwaltungsgerichte, die mit Klagen gegen falsche Bescheide überschwemmt wurden (woraus - das ist der vorläufige Gipfel - Dobrindt die Asyl-Industrie aus dem Hut zauberte!) - zum Wohl des deutschen Volkes?
Nun, die Rechnung ging mit der Wahl wohl auf! Merkel wurde wiedergewählt! Und die Medien haben zur Ablenkung lieber auf Martin Schulz und seine SPD eingedroschen!
Frau Merkel! Nehmen Sie endlich Ihre Verantwortung wahr und treten Sie zurück, bevor sich das Parlament einen Untersuchungsausschuss antun muss!
Zurück bleibt - ungläubiges Staunen:
https://youtu.be/KzwJeMGG0ec

Außer Rand und Band!

Seehofers BAMF-Aufklärung außer Rand und Band! Unglaubwürdiger Staatssekretär - hat er ab 200 EUR keine Skrupel? - stellt Seehofer einen Persilschein aus! In die Aufklärung wurden eingeschaltet: BAMF-Innenrevision, Bundespolizei, Zentrale Antikorruptionsstelle und LKA, Rechnungshof - die meisten aus dem Einflussbereich von Seehofer! Wenn die sich nur mal nicht verheddern!
Und einer nach dem anderen versucht über die Medien, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen!
https://youtu.be/pVa7Ptp3fy4

Mit Sicherheit ist ein

Mit Sicherheit ist ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß notwendig. Schon allein mit Blick auf die Beraterhonorare von rd. 55 Mio Euro für nichtsnutzige Unternehmersberater, hier vorrangig die Krake McKinsey mit 45,4 Mio. Euro. Ebenso muss geprüft werden, ob sich Fälle von Betrug und Korruption nachweisen lassen.
Die ganze Sitution mit den Flüchtlingen muss endlich von den Bürgern als Business zur Profitmaximierung und nicht als humanistische Aktion verstanden werden. Die SPD trägt lange genug Regierungsverantwortung und kann sich mit dem Fingerzeig auf Politiker anderer Parteien nicht aus der Verantwortung ziehen. Hier geht es um die Glaubwürdigkeit der SPD für die Zukunft. Die SPD sollte sich nachhaltig für eine lückenlose Aufklärung einsetzen, auch wenn eigene Fehler eingestanden werden müssen.

Kein konkreter Anlass für U-Auschuss

Stand der Dinge macht ein Untersuchungsausschuss keinen Sinn. Zunächst sollte man sowieso die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abwarten, dann kann man die Lage neu bewerten. Das Parlament kann auch so, durch den Innenauschuss, die Regierungsarbeit kontrollieren und bewerten.

Die AfD will mit dem Untersuchungsausschuss ja gar nicht seriös bewerten, was im BAMF und speziell der Außenstelle Bremen falsch gelaufen ist. Sie sagt selber, dass sie die gesamte Flüchtlingspolitik betrachten will. Dies ist aber nicht Sache eines solchen Ausschusses, sondern der normalen Parlamentsarbeit und des politischen Diskurses.

Die AfD muss natürlich das Thema mit allen MItteln im Zentrum der Diskussion halten, weil sie sonst nichts zu sagen hat. Das kann man auch in Debatten im Bundestag erleben, wo Abgeordnete der Partei es bei fast allen Themen schaffen, auf die Flüchtlingspolitik zu kommen.

Insgesamt kann man mit diesem Thema nichts gewinnen. Die Wähler, für die es Wahlentscheidend (im negativen Sinne) war, haben eh AfD gewählt. Als SPD hatten wir keine Ressortverantwortung, und entsprechend keine Schuld an administrativen Fehlentscheidungen.

kein konkreter Anlass??

Ich empfehle einen Blick in die Geschichte der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse. Unglaublich, was schon alles untersuchungsausschusswürdig war. Unglaublich auch, was es jetzt nicht sein soll.
Andererseits, wir wissen alle, dass die Partei im Ergebnis im Untersuchungsausschuss nicht gut wegkommen wird, abgesehen vom Ende Merkels- das sich wohl in der Parteiführung auch niemand wünscht. Ihre Schwäche kann unsere Stärke sein, beim nächsten Urnengang, ist ja klar!