Interview mit OECD-Direktor Andreas Schleicher

Bildung: „Die am meisten brauchen, bekommen am wenigsten“

Peter Schraeder22. September 2016
OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher
OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher bescheinigt Deutschland ein gutes Bildungssytem – mit einer Außnahme: Es gibt zu viele Geringqualifizierte
Der OECD-Bildungsbericht hat Deutschland überwiegend gute Noten bescheinigt. Doch nach wie vor sind 13 Prozent der 25 bis 34-Jährigen ohne Abitur oder Berufsausbildung. Der Bildungsdirektor der OECD, Andreas Schleicher, erklärt warum.

Was haben die Geringqualifizierten für Abschlüsse ­– und wie viele haben gar keinen Abschluss?

Bemerkenswert ist, dass sich der Anteil der Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung oder Abitur in den vergangenen Jahrzehnten kaum verringert hat. Er liegt bei den heute 25 bis 34-Jährigen bei 13 Prozent – fast der gleiche Wert wie bei den 55 bis 64-Jährigen. In vielen anderen Ländern konnte dagegen der Anteil der Geringqualifizierten in den vergangen 30 Jahren deutlich verringert werden. In Österreich von 23 auf 10 Prozent, in der Schweiz von 16 auf 8 und in Korea gar von 43 auf 2 Prozent. Wie viele dieser Menschen gar keinen Abschluss haben geht aus unseren Daten nicht hervor. Klar ist aber, wer nicht zumindest einen Abschluss auf Sekundar-II-Niveau hat, also ein Abitur oder eine Berufsausbildung, der hat in Deutschland kaum noch Chancen.

Lässt sich sagen, wie viele dieser Menschen in Armut aufgewachsen sind oder einen Migrationshintergrund haben?

Ja, Bildungserfolg und sozialer Hintergrund sind in Deutschland eng miteinander verknüpft. Klar ist weiterhin, dass der Bildungsaufstieg aus bildungsfernen Milieus in Deutschland immer noch schwer gelingt. Wenn beide Elternteile keinen Sekundar-II-Abschluss haben, erreicht nur einer von zehn der 25 bis 44-Jährigen einen Tertiärabschluss, womit etwa der Abschluss einer Fachschule oder eines Studiums gemeint ist. Nur in sechs Staaten ist die Mobilität geringer.

Wie viele dieser Menschen sind arbeitslos?

Die Arbeitslosenquote von Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung liegt bei über 11 Prozent, ist also mehr als doppelt so hoch wie bei Personen mit Abitur oder abgeschlossener Berufsausbildung.

Wo sehen Sie die Hauptursachen für den mangelnden Bildungsgrad dieser jungen Menschen?

Die Weichen werden früh gestellt, schon durch das Schulsystem wird der Einfluss des sozialen Hintergrunds auf den Bildungserfolg deutlich verstärkt. Auch auf die Zeit vor der Schule kommt es an. In Deutschland halbiert sich das Risiko im Alter von 15 Jahren bei PISA zur Risikogruppe zu zählen, wenn diese Kinder für mehr als ein Jahr an frühkindlichen Bildungsangeboten teilgenommen haben. Der Vorteil ist für Kinder mit Migrationshintergrund sogar noch deutlich größer. Deswegen ist es unbefriedigend, dass in Deutschland diejenigen, die am meisten von guter vorschulischer Bildung profitieren könnten, davon immer noch am wenigsten bekommen.

Gibt es in Deutschland ausreichende Angebote für Weiterbildungen von erwachsenen Geringqualifizierten?

Insgesamt hat Deutschland eine gute Tradition bei der Weiterbildung. Aber auch hier: Diejenigen, die davon am meisten brauchen, nämlich die Geringqualifizierten, erhalten die wenigsten Angebote für Weiterbildungen.

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