Aufbau akademischer Strukturen in Afghanistan

Bildung als entscheidende Waffe

Swen Schulz16. Februar 2010

Afghanistan aufbauen - die meisten denken da zuerst an Straßen und Brunnen, an Polizei- und Militärausbildung, vielleicht noch an Wirtschaftshilfe und Schulbau. Hajar Mobarez denkt weiter. Die
junge Frau aus Afghanistan ist Stipendiatin des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD) im Studiengang "Good Governance Afghanistan". Sie bereitet sich derzeit an der Universität Erfurt
auf den Master-Studiengang "Public Policy" an der Willy-Brandt-School of Public Policy vor. Als Mitglied des "Young Leaders Forum" der Friedrich-Ebert-Stiftung erhält sie neben dem Studiengang
Anregungen und internationale Kontakte. Hajar Mobarez will sich einsetzen im neuen Afghanistan. Für die Menschen.

Auf Einladung des DAAD hat Hajar Mobarez gemeinsam mit weiteren Studierenden und jungen Wissenschaftlern vor kurzem Mitgliedern des Deutschen Bundestags dargestellt, warum der akademische
Aufbau für Afghanistan so wichtig ist: um eine selbsttragende, eigenverantwortliche Entwicklung von Land und Gesellschaft zu erreichen.

Viele Bürger kennen ihre Rechte nicht

Schlechtes Regieren, Korruption und eine unzureichende Leistungsfähigkeit der Verwaltung verursachen seit Jahren massive Probleme. Einen zweistelligen Milliardenbetrag musste Afghanistan
seit Beginn des Aufbaus bereits an Geberländer zurücküberweisen, weil die Mittel nicht termingerecht verwaltet werden konnten. Aber auch für die rechtstaatliche und demokratische Entwicklung ist
noch viel zu tun, da viele Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte nicht kennen.

Der DAAD engagiert sich daher auch in anderen wichtigen Bereichen des akademischen Aufbaus. Seit 2002 laufen die Programme, sie sind ein wenig bekannter Teil des "Stabilitätspakts
Afghanistan" der Bundesregierung.

Die Situation in Kabul zu Beginn des Programms war verheerend: Ein großer Teil der früheren Dozenten war ums Leben gekommen oder ins Ausland geflüchtet. Sämtliche Ausstattung war gestohlen
oder zerstört. Es gab keinen Strom und kein Wasser. Die verbliebenen Dozenten standen nach Angaben des DAAD fachlich auf dem Stand hiesiger Erstsemester. Es gab keine Literatur und keine
Möglichkeit zu praktischer Übung. Im Rahmen einer Soforthilfe wurden afghanische Dozenten an deutschen Hochschulen qualifiziert sowie Sachmittel-Budgets für den dringendsten Bedarf in Studium und
Lehre ausgegeben.

Zusammenarbeit zwischen afghanischen und deutschen Hochschulen

Ab 2004 wurde die Zusammenarbeit vertieft und neben Kabul wurden noch weitere Hochschulen einbezogen. Inzwischen laufen in Zusammenarbeit mit deutschen Hochschulen Programme in
Agrarwissenschaft, Architektur, Biologie, Chemie, Dari, Germanistik, Geographie, Geologie, Informatik, Ingenieurwissenschaften, Kunst, Medizin, Pharmazie, Physik, Mathematik, Politik- und
Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaft, Hochschulmanagement, Veterinärmedizin und Wirtschaftswissenschaften.

Es werden Stipendien vergeben, Gastdozenturen in Afghanistan ebenso finanziert wie lokale Kurse in Afghanistan sowie Akademien und Studienaufenthalte für Dozenten und Studierende bezahlt.

Bildung entscheidet über gesellschaftliche Entwicklung

Ziel ist, so viele und so gute, promovierte Dozenten auf international akzeptablem Master-Niveau zu erhalten, dass die Hochschulen Afghanistans aus eigener Kraft gute Studiengänge anbieten
können. Nach Angaben des DAAD werden dafür sicher noch zehn Jahre benötigt.

Tatsächlich ist auch durch deutsche Hilfe viel erreicht worden. Doch mir geben die Worte von Tom Koenigs, dem ehemaligen UN-Sonderbeauftragten für Afghanistan, zu denken: Wir seien unter
unseren Möglichkeiten geblieben. Immer noch seien Teile der Hochschulgebäude und der Ausstattung in einem miserablen Zustand - auch die Studentenwohnheime. Es gebe zu wenig ausländische Dozenten
und zu wenig internationalen Austausch.

Bildung ist entscheidend für die gesellschaftliche Entwicklung. Das gilt für Afghanistan nicht weniger als für Deutschland und jedes andere Land der Welt. Nur mit Bildung und mit
Perspektiven auf ein gutes, eigenverantwortliches Leben kann auch der Fundamentalismus zurückgedrängt werden. Veränderungen in den Köpfen sind am Ende entscheidend. Das muss in unserem
Afghanistan-Engagement noch deutlicher werden.


Swen Schulz
ist Bundestagsabgeordneter aus Berlin-Spandau und stellv.
Sprecher der AG Bildung und Forschung der SPD-Bundestagsfraktion.

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