Vor 70 Jahren

Wie die Berliner SPD sich der Zwangsvereinigung widersetzte

Thomas Horsmann31. März 2016
Nein zur Zwansgvereinigung: Sozialdemokraten protestieren 1946 gegen einen Zusammenschluss mit den Kommunisten.
Nein zur Zwansgvereinigung: Sozialdemokraten protestieren 1946 gegen einen Zusammenschluss mit den Kommunisten.
Der Druck aus Moskau war gewaltig. Trotzdem sprach sich die SPD in Berlin (West) am 31. März 1946 in einer Urabstimmung gegen die Zwangsvereinigung mit der KPD aus. Im Ostteil der Stadt verhinderten die Sowjets eine Abstimmung.

In Berlin sind die Mitglieder der SPD am 31. März 1946 zur Urabstimmung aufgerufen. Auf dem Stimmzettel stehen zwei Fragen: „Bist du für den sofortigen Zusammenschluss beider Arbeiterpar­teien?“ und „Bist du für ein Bündnis beider Parteien, welches gemeinsame Arbeit sichert und Bruderkampf ausschließt?“ Die Parteibasis soll entscheiden, ob sie die vom Zentralausschuss der SPD (ZA) unter Otto Grotewohl betriebene Vereinigung mit der KPD unterstützt. Es ist Sonntag, der 31. März 1946.

Neugründung der SPD statt Einheitspartei

Was war zuvor passiert? Der ZA, der sich am 11. Juni 1945 konstituiert hatte, trat von Anfang an für eine „organisatorische Einheit der deutschen Arbeiterklasse“ ein. Mit dieser Politik stand er im Gegensatz zu Kurt Schumacher, der seit dem 19. April 1945 in Hannover die Wiederbegründung der SPD betrieb und eine Einheitspartei strikt ablehnte.

Beide Haltungen fanden zunächst Unterstützer innerhalb der SPD. Die einen beriefen sich auf die Rolle der Kommunisten in der Endphase der Weimarer Republik, in der man sich heftig bekämpft hatte. Die anderen sahen in der Spaltung der Arbeiterschaft den ­eigentlichen Grund für den Aufstieg der Nationalsozialisten. Ihnen schwebte jetzt eine starke, demokratische Arbeiterpartei vor.

Kommunisten wollen uneingeschränkte Macht

Doch das Ziel der Kommunisten unter Walter Ulbricht war ein anderes. Unterstützt von Moskau wollten sie die uneingeschränkte Macht. Überall in der Sowjetischen Besatzungszone zogen Kommunisten in die Verwaltungen ein. Nun sollte die Arbeiterschaft in einer Einheitspartei gebündelt werden. Für die KPD war dies nur unter kommunistischer Führung und Organisation vorstellbar. Pluralität und demokratische Meinungsbildung, wie sie  innerhalb der SPD Tradition waren, entsprachen nicht dem „demokratischen Zentralismus“, den die KPD pflegte. Für abweichende Meinungen war kein Platz. Ulbricht formulierte das so: „Es ist doch ganz klar. Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“

Ab November 1945 wurde der Druck auf den ZA von Seiten der Sowjets und der KPD immer stärker. Die Parteivereinigung sollte möglichst bald umgesetzt werden. Grund war das schlechte Abschneiden der Kommunisten bei den ersten Wahlen in Österreich. Die SPÖ hatte 44 Prozent erreicht, die KPÖ aber nur 5 Prozent. So etwas wollten die Kommunisten in Deutschland nicht riskieren.

Unterstützt vom ZA wurden Ende 1945 auf allen Parteiebenen gemeinsame Arbeitsgemeinschaften und Aus­schüsse von Kommunisten und So­zialdemokraten gebildet. Gleichzeitig wurden Sozialdemokraten, die offen gegen die Vereinigung waren, in der Sowjetischen Besatzungszone massiv verfolgt.

82,3 Prozent lehnen ab

Dennoch nahm der Widerstand in der SPD zu. Eine starke Opposition setzte am 1. März 1946 bei einer Funktionärskonferenz in Berlin eine Urabstimmung für den 31. März durch. Im Gegenzug rief der Zentralausschuss am 14. März zur Vereinigung von SPD und KPD auf. Vorsichtshalber verbot die Sowjetische Militäradministration die Urabstimmung in ihrem Sektor. Kurz vor dem Abstimmungstermin rief der Zentralausschuss die Genossen zum Boykott auf.

Dennoch war das Ergebnis eindeutig. 70 Prozent der Westberliner Genossen nahmen an der Abstimmung teil, 82,3 Prozent lehnten eine sofortige Vereinigung mit der KPD ab. 61,5 Prozent befürworteten allerdings eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten. Dass die Genossen in Ostberlin ähnlich abgestimmt hätten, kann gemutmaßt werden. Doch die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED am 22. April 1946 ließ sich nicht mehr verhindern. Sie betraf allerdings nur Ostberlin und die Sowjetische Besatzungszone. In den westlichen Besatzungszonen wurde am 10. Mai auf dem ersten Nachkriegsparteitag der SPD in Hannover Kurt Schumacher zum Parteivorsitzenden gewählt.

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Die SPD hatte zwei sich nie miteinander vertragende Gründungslinien: die von August Bebel und Wilhelm Liebknecht gegründete SDAP und der auf Ferdinand Lassalle zurückgehende ADAV. Die marxistisch, sozialistisch und sozialdemokratisch geprägte SDAP brachte fortschrittliches Denken und einen klaren Klassenstandpunkt in die SPD mit ein, war jedoch immer in der Minderheit. Der ADAV stand für das mehrheitlich kleinbürgerliche, rückschrittliche und opportunistische Denken. Das zog sich auch durch die Weimarer Zeit und der Zeit der Herrschaft des Faschismus. Zum Neubeginn nach dem mörderischen Zivilisationsbruch durch die Faschisten ist allerdings zu bedenken, dass egal ob im Westen oder im Osten Deutschlands sowohl SPDler als auch Kommunisten einen hohen Blutzoll gezahlt hatten, es fehlten dadurch fähige Köpfe. So ist auch erklärlich, dass man aus den Fehlern während der Weimarer Zeit auch in der SPD nichts lernte. Dafür stand Kurt Schumacher im Westen und Otto Grotewohl (beide SPD) im Osten. Mit und nach dem Godesberger Programm begann die endgültige Umformung der SPD nach dem Vorbild Lassalles, was in der Kanzlerschaft G. Schröders kulminierte. Die Ergebnisse sind bekannt.