
Wenn ein Mensch stirbt, berührt uns das, auch weil es uns an unsere eigene Endlichkeit erinnert. Geht jemand freiwillig aus dem Leben, fragt man sich vielleicht, was man hätte tun können, vor allem im persönlichen Umfeld. Doch jeder Mensch hat das Recht, sein Leben selbst zu beenden, unabhängig von Gründen oder Motiven. Man darf dafür auch die Hilfe anderer Menschen in Anspruch nehmen. Entscheidend ist die Selbstbestimmung. Das ist die Rechtslage.
Doch so richtig es ist, den Menschen als selbstbestimmtes Wesen anzuerkennen, so wichtig ist es auch, die Gefährdungen zu sehen, die seine Selbstbestimmung bedrohen. Innerer oder äußerer Druck ist dafür verantwortlich. Die meisten Menschen mit Suizidgedanken wollen nicht unbedingt sterben, aber sie wollen nicht so leben, wie es ihre aktuelle Situation ist oder wie sie es vielleicht angesichts einer Krankheit oder auch sozialen Notlage für die nächste Zeit erwarten. Viele sind einsam, depressiv. Das ist der innere Druck. Die Gefühle schwanken. Hier sind Hilfe, Beratung, andere Menschen gefragt. Andere, insbesondere ältere Menschen, äußern, dass sie doch niemandem zur Last fallen wollen. Vielleicht denken sie, ihr Umfeld sieht nur die Kosten, die sie „verursachen“. Das ist ein Beispiel für den Druck von außen, der entsteht, wenn es gesellschaftlich normal würde, selbst den Zeitpunkt für sein Sterben zu bestimmen.
Die Neuregelung des Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch aus dem Jahr 2015 sollte dieser gesellschaftlichen Normalisierung des assistierten Suizids entgegenwirken, indem die Beihilfe als regelmäßige Dienstleistung beispielsweise von Vereinen untersagt wurde. Es sollte also kein „Geschäftemachen mit dem Tod“ geben.
Ziel: Konsens in Parlament und Gesellschaft
Das Bundesverfassungsgericht urteilte jedoch im Jahr 2020, dass mit diesem Gesetz das Recht eines Menschen, sich selbst das Leben zu nehmen, in der Praxis unerreichbar geworden sei. So wurde es für nichtig erklärt und gleichzeitig auf die Pflicht des Staates verwiesen, Selbstbestimmung zu sichern. Ausdrücklich sagt das Gericht, dass es ein Anliegen des Gesetzgebers sein darf, einer Normalisierung des Suizids vorzubeugen und dafür auch eine Regelung im Strafrecht vorzusehen.
Eine Gruppe von Abgeordneten aller demokratischen Fraktionen will dieses Urteil nun umsetzen. Ein breiter Konsens im Parlament ist wichtig, damit auch ein gesellschaftlicher Konsens in dieser schwierigen ethischen Frage erreicht werden kann.
Vorschlag: Ein Schutzkonzept
Mit dem Gesetzesentwurf wird assistierter Suizid ermöglicht, aber nicht gefördert. Sonst würde der äußere Druck, sich auf diese Weise das Leben zu nehmen, zunehmen, und dieser Druck würde verletzliche Gruppen besonders treffen. Um die Freiverantwortlichkeit des Suizidentschlusses sicherzustellen, schlägt der Gesetzentwurf ein Schutzkonzept vor: Dazu gehören grundsätzlich mindestens zwei Untersuchungen in einem hinreichenden Abstand durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie; dies sichert die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit der Entscheidung. Wenn der Tod ohnehin unmittelbar bevorstünde, sind hiervon Abweichungen vorgesehen.
Wichtig sind Information sowie Beratung, und zwar individuell angepasst, umfassend, multiprofessionell und interdisziplinär. Außerdem soll sie ergebnisoffen erfolgen und auch Alternativen zum assistierten Suizid aufzeigen. Zwischen der Beratung und der Suizidhilfe soll eine angemessene Wartefrist bestehen. Diese muss von unterschiedlichen Personen durchgeführt werden. Wer Hilfe benötigt, soll sie schnell erhalten, beispielsweise zu psychotherapeutischen Behandlungen, Schulden- oder Suchtberatung. Werbung für Angebote geschäftsmäßiger Suizidhilfe soll, im Gegensatz zur Sachaufklärung durch Ärzt*innen, ebenfalls strafbar sein.
Eine Suizidhilfe für Minderjährige ist in jedem Fall ausgeschlossen, da Sterbewünsche bei Kindern und Jugendlichen besonders schwanken und „Dauerhaftigkeit“ und „Ernsthaftigkeit“ im Sinne des Urteils nicht sichergestellt werden können.
Fokus auf Prävention
Einer Förderung käme es gleich, wenn Angebote des assistierten Suizids leichter zugänglich wären als beispielsweise solche zur palliativen Versorgung, zu fürsorgender guter Pflege im Alter oder Hilfe in psychischen und psychosozialen Krisen. Hier wurde schon viel getan, und noch mehr muss passieren. Der Staat darf niemandem den Eindruck vermitteln, überflüssig zu sein. Einer solchen möglichen Schieflage soll mit dem begleitenden Antrag „Suizidprävention stärken und selbstbestimmtes Leben ermöglichen“ entgegengewirkt werden.
Mit einem Gesamtansatz muss in den Blick genommen werden, welche gesellschaftlichen Fragestellungen hinter vielen Suiziden liegen, allen voran die Einsamkeit und die gesundheitliche und pflegerische Versorgung. In solchen Situationen braucht es Hilfe, Beratung, Unterstützung, einfacher gesagt: Menschen, die mit solchen Situationen umgehen können und auch das heute knappste Gut, nämlich Zeit dafür haben. Dafür wollen wir besser sorgen. Entscheidend ist, dass wir lernen, über das Thema zu sprechen. Es muss aus der Tabuzone. Wer sich mit dem Gedanken an eine Selbsttötung trägt, darf nicht auch noch stigmatisiert werden.
Das Bundesverfassgungsgericht hat mit einem Urteil im Februar 2020 die bis dahin gültige Regelung gekippt – seitdem wird im Bundestag an mehreren Entwürfen für eine Neuregelung gearbeitet. Lars Castellucci (SPD), Benjamin Strasser (FDP), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Ansgar Heveling (CDU/CSU) sowie Kathrin Vogler (Die Linke) haben am Donnerstag, 27. Januar, ihren Vorschlag in der Bundespressekonferenz vorgestellt.