Armuts- und Reichtumsbericht

Warum Armut ein Problem für die Demokratie in Deutschland ist

Frederik Theiling09. März 2017
Gerhard Bäcker von der Universität Duisburg-Essen auf der Veranstaltung "Arm trotz Reichtum?" - SPD-Bundestagsfraktion am 08.03.2017
Der Sozialstaat gleicht Ungleichheiten in Deutschland immer weniger aus. Dies ist ein Ergebnis des fünften Armuts- und Reichtumsberichtes der Bundesregierung. Das hat Folgen für die Demokratie.

Die relative Armutsquote ist in Deutschland in den vergangenen Jahren angestiegen. Das zeigt der fünfte Entwurf des Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. „Trotz günstiger ökonomischer Rahmenbedingungen haben wir eine relative Armutsrisikoquote von 15,7 Prozent. Das ist ja schon ein Indiz dafür, dass die Maßnahmen der Bundesregierung nicht zu hundert Prozent zum Erfolg geführt haben“, sagte Gerhard Bäcker von der Universität Duisburg-Essen bei einer Diskussion der SPD Bundestagsfraktion über den fünften Armuts- und Reichtumsbericht am Mittwoch.

Erstmals gibt der Bericht einen Einblick, wodurch Armutsrisiken in der Einkommensverteilung entstehen. „Risiken im Arbeitsmarkt sind insgesamt mit höheren Armutsrisiken verbunden. Der Sozialstaat gleicht die extremen Ungleichheiten bei der Einkommensverteilung zwar aus, aber er gleicht es in den vergangenen Jahren immer weniger aus“, sagte Bäcker.

Vier Gruppen in der Gesellschaft besonders gefährdet

Besonders von Armut gefährdet sind laut dem Berichtsentwurf Arbeitslose, Alleinerziehende, Niedrigqualifizierte und Menschen mit Migrationshintergrund.  Mehr als die Hälfte aller Erwerbslosen in Deutschland seien von Armut gefährdet. „Der Sozialstaat schafft es weniger als noch im Jahr 2000 hier einen Ausgleich hinzukriegen“, betonte Bäcker.

Auch bei der Gruppe der Alleinerziehenden sei keine Besserung in Sicht. „Vor fünf oder sechs Jahren war Kinderarmut das entscheidende Thema. Heute spricht keiner mehr davon, aber die Armutsquote hat sich nicht geändert“, sagte Bäcker. Er bemängelte diese öffentliche Wahrnehmung. Heute sei das entscheidende Thema Altersarmut und es sei der Eindruck entstanden, dass Thema Kinderarmut sei damit erledigt. „Das Gegenteil ist aber der Fall“, so Bäcker.

Weiteres Auseinanderdriften muss verhindert werden

Bei der Betrachtung von Armut und Reichtum orientieren sich die Autoren des Berichts an den Lebensphasen der Menschen in Deutschland. Gegliedert wurde hier in die Gruppen Kinder sowie jüngeres, mittleres und höheres Alter.

Lobende Worte fand Gerhard Bäcker dagegen dafür, dass der Bericht auch auf die Verbindung von Armut, Reichtum und Demokratie eingehe. „Die Wahlbeteiligung wird umso geringer, je schlechter die materielle Situation ist.“ Wenn man sich beispielsweise die Wahlbeteiligung im Norden von Essen ansehe, könne einem Angst und Bange werden, sagte Bäcker. Hier müsse ein weiteres finanzielles Auseinanderdriften verhindert werden, da es die demokratische Grundlage Deutschlands gefährde.

Darüber hinaus regte Bäcker an, die regionale Verteilung von Armut und Reichtum in weiteren Berichten zu betrachten. So könne sichtbar gemacht werden, dass es Gebiete gibt, die immer weniger Schritthalten können, während in anderen Gebieten der Wohlstand wächst. „Deutschland ist kein Monolith, sondern ein sehr ausdifferenziertes Land“, so Bäcker.

Schritt in die richtige Richtung

Bei aller Kritik sei der fünfte Armuts- und Reichtumsbericht aber ein Schritt in die richtige Richtung. Auch habe ein Stimmungswandel stattgefunden. „Beim ersten Armuts- und Reichtumsbericht war es schwierig und hoch umstritten überhaupt so einen Bericht vorzunehmen“, erklärte Bäcker. „Die ehemalige Familienministerin Claudia Nolte hat damals gesagt, Armut und Kinderarmut könne es in einem reichen Land wie Deutschland nicht geben.“

Zu dieser Zeit habe soziale Ungleichheit als Ansporn für Leistung gegolten. Heute sei die Situation wesentlich anders. „Die EU, der IWF, die OECD beklagen heute weltweit die extreme Spannweite zwischen Armut und Reichtum und gehen davon aus, dass es ein Hindernis für gesellschaftlichen Wohlstand und wirtschaftliches Wachstum ist.“

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Kommentare

Da wollen wir aber mal sehen, was in der Endfassung übrig bleibt

Auch die Union reiht sich in die Leugner der wachsenden sozialen Ungleichheit ein!
Es ist genau diese Art von Politikstil - Intransparenz, Mauscheleien, Halbwahrheiten, Schönfärbereien, Tricksen, Verschweigen, Vertuschen, ... - die politisches Mißtrauen und damit Politikverdruß ("Personen mit geringerem Einkommen verzichten auf politische Partizipation, weil sie Erfahrungen machen, dass sich die Politik in ihren Entscheidungen weniger an ihnen orientiert.") erzeugen und potentielle Wähler in die Hände von extremen Gruppierungen treiben. Anscheinend haben noch zuviele rückwärtsgewandte Politiker die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Dass dies in diesem Fall - und das war in dem letzten Armutsbericht 2013 schon entsprechend thematisiert - der Verschleierung der sozialen Ungleichheit dient - nicht Wenige frönen ja derzeit der sozialen Ungleichheitslüge -, lässt für den bevorstehenden Wahlkampf Schlimmes erahnen ("In Deutschland beteiligen sich Bürger mit unterschiedlichem Einkommen nicht nur in sehr unterschiedlichem Maß an der Politik, sondern es besteht auch eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen.").
"Die Wahrscheinlichkeit von ...

...

...
Politikveränderungen ist wesentlich höher, wenn diese von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird." Insofern ist es kein Wunder, wenn sich die Politik scheut, etwas Substantielles gegen das weitere Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich zu unternehmen.
Wenn die o.g. Zitate aus der ursprünglichen Fassung des Armutsberichtes wieder gestrichen wurden, zeigt das nur auf, dass die Abgehängten noch nicht einmal Zielgruppe dieses Berichtes sind. Die Regierung hat sie ein zweites Mal abgehängt!
Meine Empfehlung: Den Bericht in zwei Versionen veröffentlichen: eine CDU/CSU-Version und eine SPD-Version. Das wäre wenigstens ehrlich!
Total unehrlich ist es aber, wenn jetzt die Union auf ihrer Web-Site veröffentlicht: "Die Schere zwischen Arm und Reich schließt sich" und "CDU-Politik zahlt sich aus. Laut Armutsbericht nimmt zudem die Einkommensungleichheit ab" (https://www.cdu.de/search/site/armutsbericht).
Und welche Medien haben das so dargestellt?

Merke: die nächsten Wahlen stehen vor der Türe!
http://youtu.be/0zSclA_zqK4
Und was sagt der Bundestag?
http://youtu.be/QGOx8I0COYg

Viel Spaß und neue Erkenntnisse beim Anhören!