
Die relative Armutsquote ist in Deutschland in den vergangenen Jahren angestiegen. Das zeigt der fünfte Entwurf des Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. „Trotz günstiger ökonomischer Rahmenbedingungen haben wir eine relative Armutsrisikoquote von 15,7 Prozent. Das ist ja schon ein Indiz dafür, dass die Maßnahmen der Bundesregierung nicht zu hundert Prozent zum Erfolg geführt haben“, sagte Gerhard Bäcker von der Universität Duisburg-Essen bei einer Diskussion der SPD Bundestagsfraktion über den fünften Armuts- und Reichtumsbericht am Mittwoch.
Erstmals gibt der Bericht einen Einblick, wodurch Armutsrisiken in der Einkommensverteilung entstehen. „Risiken im Arbeitsmarkt sind insgesamt mit höheren Armutsrisiken verbunden. Der Sozialstaat gleicht die extremen Ungleichheiten bei der Einkommensverteilung zwar aus, aber er gleicht es in den vergangenen Jahren immer weniger aus“, sagte Bäcker.
Vier Gruppen in der Gesellschaft besonders gefährdet
Besonders von Armut gefährdet sind laut dem Berichtsentwurf Arbeitslose, Alleinerziehende, Niedrigqualifizierte und Menschen mit Migrationshintergrund. Mehr als die Hälfte aller Erwerbslosen in Deutschland seien von Armut gefährdet. „Der Sozialstaat schafft es weniger als noch im Jahr 2000 hier einen Ausgleich hinzukriegen“, betonte Bäcker.
Auch bei der Gruppe der Alleinerziehenden sei keine Besserung in Sicht. „Vor fünf oder sechs Jahren war Kinderarmut das entscheidende Thema. Heute spricht keiner mehr davon, aber die Armutsquote hat sich nicht geändert“, sagte Bäcker. Er bemängelte diese öffentliche Wahrnehmung. Heute sei das entscheidende Thema Altersarmut und es sei der Eindruck entstanden, dass Thema Kinderarmut sei damit erledigt. „Das Gegenteil ist aber der Fall“, so Bäcker.
Weiteres Auseinanderdriften muss verhindert werden
Bei der Betrachtung von Armut und Reichtum orientieren sich die Autoren des Berichts an den Lebensphasen der Menschen in Deutschland. Gegliedert wurde hier in die Gruppen Kinder sowie jüngeres, mittleres und höheres Alter.
Lobende Worte fand Gerhard Bäcker dagegen dafür, dass der Bericht auch auf die Verbindung von Armut, Reichtum und Demokratie eingehe. „Die Wahlbeteiligung wird umso geringer, je schlechter die materielle Situation ist.“ Wenn man sich beispielsweise die Wahlbeteiligung im Norden von Essen ansehe, könne einem Angst und Bange werden, sagte Bäcker. Hier müsse ein weiteres finanzielles Auseinanderdriften verhindert werden, da es die demokratische Grundlage Deutschlands gefährde.
Darüber hinaus regte Bäcker an, die regionale Verteilung von Armut und Reichtum in weiteren Berichten zu betrachten. So könne sichtbar gemacht werden, dass es Gebiete gibt, die immer weniger Schritthalten können, während in anderen Gebieten der Wohlstand wächst. „Deutschland ist kein Monolith, sondern ein sehr ausdifferenziertes Land“, so Bäcker.
Schritt in die richtige Richtung
Bei aller Kritik sei der fünfte Armuts- und Reichtumsbericht aber ein Schritt in die richtige Richtung. Auch habe ein Stimmungswandel stattgefunden. „Beim ersten Armuts- und Reichtumsbericht war es schwierig und hoch umstritten überhaupt so einen Bericht vorzunehmen“, erklärte Bäcker. „Die ehemalige Familienministerin Claudia Nolte hat damals gesagt, Armut und Kinderarmut könne es in einem reichen Land wie Deutschland nicht geben.“
Zu dieser Zeit habe soziale Ungleichheit als Ansporn für Leistung gegolten. Heute sei die Situation wesentlich anders. „Die EU, der IWF, die OECD beklagen heute weltweit die extreme Spannweite zwischen Armut und Reichtum und gehen davon aus, dass es ein Hindernis für gesellschaftlichen Wohlstand und wirtschaftliches Wachstum ist.“