Armes Deutschland

Edda Neumann24. April 2009

In Deutschland gibt es rund sieben Millionen Menschen, die mit Harz IV auskommen müssen und ein Leben auf dem Abstellgleis führen. Selbst die, die Arbeit haben können manchmal mit dem Lohn
nicht ihren Lebensunterhalt finanzieren. Andere wiederum haben keinen oder nur einen schlechten Schulabschluss, sodass ihnen der Zugang zu gut bezahlter Arbeit verwehrt bleibt.

Ein neuer alarmierender Trend zeichnet sich ab. Kinder von Harz-IV- Empfängern haben in der Schule oftmals weniger Chancen auf einen qualifizierten Abschluss. Hoffnung auf eine bessere
Zukunft haben diese Kinder kaum noch. Es macht sich Resignation bei Eltern und Lehrern breit.

Seit 2005 begleitet Julia Friedrichs Menschen, deren Leben in soziale Schieflage geraten ist. Friedrichs sieht darin die beste Möglichkeit, um ihre alltäglichen Ängste und Nöte besser zu
verstehen.

"Unterschicht"?

Inzwischen wird viel über eine passende Bezeichnung debattiert. Ob nun "abgehängtes Prekariat", "neue Armut" oder "Unterschicht" - alle Begriffe beanspruchen Allgemeingültigkeit, ohne
jedoch die menschlichen Abgründe dahinter zu hinterfragen. Die Bezeichnung "Unterschicht", die im Untertitel des Buches auftaucht, meint nichts Abwertendes. Die Betroffenen selbst hätten bewusst
diese Bezeichnung für sich gewählt, betonte Julia Friedrichs.

In "Deutschland dritter Klasse" kommen die Betroffenen genauso wie ihre Helfer in den Schulen, den Ämtern und den Familien selbst zu Wort. Sie erzählen, wie es ist, ganz unten zu leben.
Zahlen und Fakten ergänzen die Geschichten und stellen sie in einen größeren Zusammenhang. Es ist ein Buch über die soziale Schieflage in Deutschland.



Leben mit Hartz IV

In Kalkutta, Lagos, Khartum und Dhaka wären sie Krösusse. Doch hierzulande gehören Harz IV Empfänger zu gesellschaftlichen Außenseitern. Da ist zum Beispiel eine junge Familie, die mit der
staatlichen Hilfe nicht über die Runden kommt. Mit ihrer elf Monate alten Tochter sitzen beide die meiste Zeit des Tages vor dem Fernsehapparat. "Was sollen wir denn sonst tun", fragt die junge
Mutter. Das tägliche Aufeinanderhocken führt zu Streitereien und Aggressionen. Das kleine Mädchen ist die Leidtragende. Wie wird ihre Zukunft wohl aussehen?

Oder ein Ehepaar, wo der Mann in seinem Job als Wachmann so wenig verdient, dass Anspruch auf staatliche Hilfe hätte. Doch Scham hält in davon ab, beim Amt einen Antrag zu stellen.
Schließlich hat er ja Arbeit. Diese und weitere Beispiele haben die Autoren in ihrem Band versammelt, die repräsentativ für viele weitere Schicksale in Deutschland stehen.

Am Ende ziehen die Autoren ein düsteres Fazit. Die Situation für Harz-IV- Empfänger habe sich nicht verbessert, sondern sich sogar verschlechtert. Der Weg aus Hartz IV sei heute wesentlich
schwieriger geworden, betonte Friedrichs.

"Deutschland dritter Klasse" verschaulicht sehr gut, wie es vielen Deutschen am Rande des Existenzminimums ergeht. Dabei stilisiert es die Betroffenen nicht zu bloßen Opfern, sondern
beschreibt den Faktor Armut inmitten der Gesellschaft.



Julia Friedrichs, Eva Müller, Boris Baumholt: Deutschland dritter Klasse. Leben in der Unterschicht, Hoffmann und Campe 2009, 220 Seiten, 14, 95 Euro, ISBN 9783455501124.

Edda Neumann

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