Entscheidung im Bundestag

Armenien-Resolution: Erhobene Zeigefinger helfen nicht weiter

Yaşar Aydın02. Juni 2016
Bundestagsdebatte vor der Wahl:
Bundestagsdebatte vor der Wahl: Die SPD wirft Merkel die Blockade und Sabotage wichtiger Reformen vor.
Fast einstimmig hat der Bundestag eine Resolution verabschiedet, in der die Ermordung von eineinhalb Millionen Armeniern durch das Osmanische Reich als Völkermord bezeichnet wird. Welche Auswirkungen die Resolution haben wird, analysiert der Sozialwissenschaftler Yasar Aydin.

Am heutigen Donnerstag hat der Bundestag auf Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine Armenien-Resolution verabschiedet, die die Vernichtung der anatolischen Armenier durch Vertreibungen und Massaker des Osmanischen Reichs während des Ersten Weltkriegs (1915/16) als Völkermord bezeichnet. Deutschland stehe aufgrund seiner historischen Mitschuld in der Verantwortung, so heißt es darin, „Türken und Armenier dabei zu unterstützen, über die Gräben der Vergangenheit hinweg nach Wegen der Versöhnung und Verständigung zu suchen“.

Welche Folgen wird die Armenien-Resolution haben?

Ob diese Völkermord-Resolution, die in Teilen der türkischen Bevölkerung Kritik und Empörung ausgelöst hat, tatsächlich zur kritischen Aufarbeitung der modernen türkischen Geschichte mit ihren Schattenseiten und zur Versöhnung beiträgt und einen Lernprozess auf beiden Seiten voranbringt, bleibt abzuwarten. Frühere Resolutionen haben dies zumindest nicht geschafft.

Die türkische Abwehrhaltung – sowohl unter Staatseliten und Intellektuellen als auch in der Bevölkerung – gegenüber der Resolution hat viele Gründe.  Einer Aufarbeitung im Wege steht zunächst der bis heute gepflegte Gründungsmythos, der den Nationalen Befreiungskrieg (1919–1922) im Glorienschein erstrahlen lässt. Hieraus speist die Republik Türkei ihre Legitimität. Gleichzeitig schweißt er die Bevölkerung jenseits ethnischer Differenzen zusammen.

Was eine Aufarbeitung schwierig macht

Die Macht- und Interessenpolitik der Alliierten nach dem Waffenstillstand im Herbst 1918 hat auch dazu beigetragen, dass die türkische Widerstandsbewegung auf die Kader des jungtürkischen „Komitees für Einheit und Fortschritt“ zurückgriff und damit eine Distanzierung von dessen Vertreibungs- und Vernichtungspolitik gegenüber den Armeniern verspielt hat.

Erschwerend auf eine kritische Aufarbeitung wirkt auch, dass der Genozid an den Armeniern aus dem Kontext gerissen und als eine „notwendige Folge“ der türkischen Modernisierung dargestellt wird. Verschwiegen wird dabei die Existenz eines aggressiven armenischen Nationalismus, der auf einen Nationalstaat auf einem Gebiet ausgerichtet war, auf dem die Armenier in der Minderheit waren.

Warum Türken und Kurden sich als Opfer sehen

Auch von der Macht- und Expansionspolitik europäischer Großmächte, insbesondere des Russischen Reiches, das häufig armenische Milizen und Organisationen für seine Zwecke instrumentalisiert hat sowie von massenhaften Vertreibungen türkisch-muslimischer Bevölkerung aus dem Balkan und Kaukasus wollen viele nichts wissen. All dies rechtfertigt das Vorgehen der osmanischen Regierung gegen die Armenier keinesfalls, erklärt jedoch die aktuelle Abwehrhaltung vieler Türken und Kurden, die sich als Opfer armenischer irregulärer Milizen oder des armenischen Staates sehen.

Bereits vor 1915 kam es zu zahlreichen Massakern unter Beteiligung armenischer Milizen gegen Muslime – nicht nur als Reaktion auf die Pogrome von muslimischer Seite. Auch kam es zu Gräueltaten auf beiden Seiten der türkisch-russischen Grenze, die von russischen Streitkräften und armenischen Freischärlern verübt wurden.

Banger Blick nach Aserbaidschan

Zwei weitere Faktoren erschweren ebenfalls eine kritische Aufarbeitung und Anerkennung des Leides der Armenier und damit auch eine Aussöhnung zwischen Türken bzw. Kurden und Armeniern. Das ist zum einen die politische Instabilität im Nahen Osten und auf dem Kaukasus, die in der Türkei aufgrund der innenpolitischen Verwundbarkeit des Staates Ängste nach einer weiteren Aufteilung schürt. Zum anderen ängstigt sie die Besetzung fast eines Drittels Aserbaidschans durch Armenien, dem sich die Türken aufgrund ethno-kultureller Nähe verbunden fühlen.

Zahlreiche Aserbaidschaner wurden entweder Opfer militärischer Gewalt oder mussten fliehen. Es ist zweifelhaft, dass ein kritischer Aufarbeitungsversuch, der diese historischen Entwicklungen verschweigt oder gar ihre Thematisierung als Relativierung, Aufrechnung und Opfer-Täter-Verklärung schmäht, einen Lernprozess voranbringt.

Ein Riss geht durch die Türkeistämmigen in Deutschland

Da die Weigerung, einen Lernprozess zu durchlaufen, viele Gründe hat, werden die positiven Auswirkungen der Völkermord-Resolution des Bundestags begrenzt bleiben. Mehr diplomatisches Gespür und bilaterale Gespräche zwischen Diplomaten und Entscheidungsträger wären sicherlich Ziel führender gewesen. Zudem ist zu erwarten, dass die Völkermord-Resolution die bereits existierende politische Polarisierung unter den Türkeistämmigen in Deutschland weiter vorantreibt.

Bereits im Vorfeld kam es in den sozialen Medien etwa bei Facebook zu heftigen Kontroversen. Während die Befürworter der Resolution, auch türkeistämmige Bundestagsabgeordnete, mit Beschimpfungen wie etwa „Verräter“ konfrontiert waren, gab es auf der anderen Seite ebenfalls Einschüchterungsversuche. Kritiker der Resolution wurden als „Völkermordsleugner“ geschmäht, ihnen wurden Illoyalität gegenüber Deutschland und eine Fernsteuerung durch die türkische Regierung unterstellt. Es ist zu erwarten, dass sich der emotionale Riss, der die Türkeistämmigen in Deutschland in zwei gegenüberstehende Lager zuweist, verfestigt.

Deutschland kann eine wichtige Rolle spielen

Ohne Frage: Die Türkei muss sich zu ihrer Verantwortung für die gewaltsame Vertreibung der Armenier und der Vernichtung der armenischen Kultur bekennen. Die türkische Regierung steht in der Pflicht, einen geschützten Raum für Wissenschaftler und Intellektuelle zu schaffen, damit diese frei und ohne Angst vor Repressionen an der Aufarbeitung der Geschichte der Vertreibung und Ermordung von Armeniern arbeiten können.

In den vergangenen Jahren fanden immer mehr Menschen in der Türkei den Mut, in der Armenierfrage zum nationalen Mainstream auf Distanz zu gehen, es kam sogar zu Annäherungsversuchen zwischen der Türkei und Armenien. Deutschland kann diesen Prozess unterstützen. Erhobene Zeigefinger, falsche Analogien mit der Vernichtung der Juden, die Verkennung historischer Faktoren sowie eine emotionale Versteifung auf die Begriffswahl sind dabei aber nicht hilfreich.

weiterführender Artikel

Kommentare

Was war Ziel der Resolution und wem nützt es?

Meiner Meinung nach wird mit der Resolution versucht, eine bestimmte Sicht auf historische Ereignisse als die einzig wahre festzulegen. Einerseits ist das manipulativ sowie dogmatisch und andererseits ist eine historische Einordung von Ereignissen der Weltgeschichte durch den Bundestag gar nicht leistbar und nicht sein Aufgabe.

Wenn man der Türkei damit indirekt signalisieren will, dass nur dieses Eingeständnis sie an die EU heranführt, hat man nichts von Diplomatie verstanden.

Die reislamisierte Türkei vertritt ohnehin mehr und mehr ihre eigenen Interessen im Nahen und Mittleren Osten sowie auch in Zentralafrika, in diesen Gebieten wird allmählich sie zur Hegemonialmacht.

Man muss also die Abgeordneten der SPD fragen, was sie sich dabei gedacht und ob sie nichts Besseres zu tun haben.

Wer, wie eben auch die Abgeordneten der SPD, die "Mitschuld" des kaiserlichen Deutschlands als Mitglied der Mittelmächte an den Ereignissen im Osmanischen Reich herausstellt, muss auch den Beitrag der damaligen SPD nennen, denn die SPD-Reichstagsfraktion stimmte mit wenigen Ausnahmen, dann auch noch unnötigerweise, weil ihre Stimmen gar nicht gebraucht wurden, den Kriegskrediten zu.