
Wer wenig Geld verdient, bleibt arm, wer bereits wohlhabend ist, kann recht sicher sein, seine Einkommensvorteile auf Dauer zu behalten. Das geht aus dem aktuellen „Verteilungsbericht“ des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervor, der am Montag in Berlin vorgestellt wurde. Demnach hat die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung in Deutschland einen neuen Höchstwert erreicht.
Soziale Aufstiege gelingen immer seltener
„Arm bleibt arm und reich bleibt reich – das gilt aktuell noch deutlicher stärker als vor 20 Jahren“, sagt die wissenschaftliche Direktorin des WSI, Anke Hassel. Sei es zwischen 1991 und 1995 noch 58 Prozent der Armen gelungen, in eine höhere Einkommensgruppe aufzusteigen, waren es zwischen 2009 und 2013 nur noch 50 Prozent gewesen. Allein der Anteil der Aufstiege in die untere Mittelschicht sei in knapp 20 Jahren um zehn Prozentpunkte zurückgegangen.
Vor allem an den Rändern haben die WSI-Forscher einen Stillstand ausgemacht: Wer über deutlich weniger als das mittlere Netto-Haushaltseinkommen verfügt, verharrt dort meist ebenso wie diejenigen, deren Verdienst deutlich darüber liegt. Und auch regional gibt es Unterschiede. So ist die Einkommensungleichheit in Ostdeutschland weitaus ausgeprägter als in den westlichen Bundesländern.
Die Leidtragenden andauernden Armut sind die Kinder
„Die Verfestigung der Armut ist besonders problematisch“, warnt Dorothee Spannagel. Die Verteilungsexpertin des WSI hat für den Bericht in den vergangenen Monaten zahlreiche Daten ausgewertet. „Aus der Forschung wissen wir: Je länger eine Armutssituation andauert, desto stärker schlägt sie auf den Alltag durch“, sagt sie. Besonders auf Kinder wirke sich lange Armut negativ aus.
Denn die Erfahrung zeigt, dass die Kinder armer Eltern später häufig selbst arm sind. „In kaum einem anderen Land hängen die Chancen so stark von der Herkunft ab wie hierzulande“, sagt Dorothee Spannagel. Zu erklären sei das „vor allem mit der sehr hohen Bildungsungleichheit“. Bildung sei in Deutschland stark vom sozialen Hintergrund des Elternhauses abhängig. Das Risiko, gegenüber den Eltern sozial abzusteigen, sei zudem in den vergangenen Jahren noch deutlich gestiegen.
Wo die Politik gegensteuern muss
Hier sieht das WSI auch die Politik in der Pflicht. Neben weiteren Reformen im Bildungssystem, etwa eine gezielte frühkindliche Förderung von Kindern aus sozial benachteiligten Familien, seien Verbesserungen am Arbeitsmarkt zentral. Besonders Geringqualifizierte und Migranten, die überdurchschnittlich stärker von Arbeitslosigkeit bedroht sind, müssten besser mit Qualifikations-, Bildungs- und Beratungsangeboten unterstützt werden.
Gelingt es nicht, gegenzusteuern, könnten die Folgen weitreichend sein. Die derzeitige „Gemengelage“ gefährde den sozialen Zusammenhalt in Deutschland und verletze das Prinzip der Chancengleichheit, warnen die WSI-Forscher. „Viele dieser Entwicklungen vollziehen sich nicht in spektakulären Sprüngen, sondern langsam, aber recht kontinuierlich und selbst bei guter wirtschaftlicher Lage“, mahnt WSI-Direktorin Anke Hassel. Das mache sie besonders gefährlich, da politischer Handlungsdruck lange übersehen werden könne. „Dabei ist es höchste Zeit, gegenzusteuern.“