Nach dem Tarifabschluss

Arbeit in der Pflege: „Die Flucht aus dem Beruf hält unvermindert an“

Vera Rosigkeit28. Oktober 2020
Die im Tarifabschluss vereinbarten Zulagen für die Pflegeberufe waren überfällig, sagt Michael Bauch, Betriebsrat im Klinikum Würzburg. Doch braucht es in der Pflege dringend mehr Entlastung, um die Flucht aus dem Beruf zu stoppen.

Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst und die damit vereinbarten Zulagen für die Pflegeberufe gehen aus seiner Sicht und unter diesen schwierigen Bedingungen in Ordnung, sagt Michael Bauch. Aber es müsse sich grundlegend etwas ändern, betont er. Der gelernte Krankenpfleger mit Weiterbildung in der Intensivpflege und Stationsleitung hat 30 Jahre in seinem Beruf gearbeitet, davon 18 Jahre eine Intensivstation geleitet.

Pflegezulage war überfällig

In seiner Klinik findet der Caritas-AVR (Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes“), der sich in der Regel an den TVöD anhängt, Anwendung. Rund 75 Prozent der Beschäftigten arbeiten mit einem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (Tv-L). Die nun vereinbarte Pflegezulage von 70 beziehungsweise 120 Euro gibt es in diesem Tv-L bereits, erklärt Bauch. Ebenso eine monatliche Zulage in der Intensivmedizin in Höhe von 90 Euro, die im TvöD nun auf 100 Euro angehoben werden soll. „Beides ist gut so.“

Als überfällig bezeichnet der inzwischen freigestellte Betriebsrat die ebenfalls vereinbarte Zulage für Beschäftigte, die ständig Wechselschicht leisten. Denn sie sei noch nie angepasst worden und war auch nie dynamisiert angelegt. „Also war es höchste Zeit für eine Anpassung. Wechselschicht ist für die Betroffenen eine sehr belastende Angelegenheit“, weiß er aus Erfahrung. Vom Tarifabschluss profitieren werden auch die Mitarbeiter*innen seiner Klinik, denn „wenn der Schwester-Tarifvertrag im ÖD gut abschließt, haben die TV-L-Häuser eine bessere Ausganssituation für ihre Verhandlungen“, betont er.

„Brauchen dringend Entlastung“

Doch müsse sich in seinem Beruf grundlegend etwas ändern. „Wir brauchen in der Pflege dringend Entlastung.“ Damit spricht Bauch die viel zu dünne Personalbesetzung und die daraus folgende nahezu ständige Überlastung in der Patientenversorgung an. Er ist überzeugt, dass es dringend einer gesetzlich vorgeschriebene Personalbemessung und -besetzung bedarf. „Dazu benötigen wir endlich ein Pflegepersonalbemessungsinstrument, wie es der Bundesverband der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) gemeinsam mit ver.di und dem Deutschen Pflegerat dem Bundesgesundheitsministerium vorgelegt haben.“ Denn die derzeit für manche Bereiche gültige Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung zementiere lediglich ein Minimalst-Niveau und bezeichnet Bauch aus seiner Sicht  als „skandalös“.

„Die Flucht aus dem Beruf hält unvermindert an“, so Bauch. Viele könnten nicht mehr Vollzeit arbeiten, weil die Freizeit nicht mehr zur Erholung reiche. „Wir steuern im Gesundheitswesen gerade sehenden Auges auf einen Kollaps zu“, warnt er. Dabei sei es im Grunde „ein wunderbarer Beruf – wenn die Bedingungen stimmen“.

Was muss sich in der Pflege ändern?

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Kommentare

nicht Flucht aus dem Beruf,

Flucht aus den Arbeitsverhältnissen findet statt- denn wenn andere mehr bezahlen, verhält sich auch ein Arbeitnehmer marktkonform.

Stimmt - So verschafft sich

Stimmt - So verschafft sich der öffentliche Dienst Vorteile gegenüber den Krankenhäusern/Pflegeeinrichtungen die privat betrieben werden und wo es keine Tarifverträge gibt. Um das Pflege-Chaos zu beenden bzw. zu minimieren, muss es aber entsprechende Tarifverträge für alle Einrichtungen geben.

Flucht aus dem Beruf ? Oder aus was Anderem ?

Die "Corona-Helden" haben aktuell schon wieder erleben dürfen, das bis auf warme Worte keine "Anerkennung "zu Erwarten ist.
Sicher spielt auch die zutage getretene Diskrepanz zwischen Anspruch/Belastung und Entlohnung eine maßgebliche Rolle.
DIe Nebelkerze mit Tarifverträgen wird die "Flucht" aber nicht eindämmen sondern eher ausweiten. WIe in allen Branchen sind Aussagen zu Tarifversträgen einzig und allein für die Arbeitnehmer in tarifbindung relevant, sämtliche nicht von Tariflohn profitierenden Menschen stehen grundsätzlich deutlich schlechter da.
Der ach so tolle Mindestlohn hilft hier nicht.
Es kann die Arbeitgeberseite qualifizierte Menschen genau so schlecht bezahlen wie weniger Qualifizierte.

Beim Anspruch den nicht nur Pflegeberufe haben muß es beim Mindestlohn branchenspezifische Zuschläge geben, quasi einen Korrekturfaktor damit Qualifizierung und Mehrwert der Arbeitnehmer nicht entwertet und zur Ramschware wird.

Dazu harte Durchsetzung des Arbeitszeitschutzgesetzes sowie Verschärfung der schwammigen Ausnahmeregelungen ab §14.
Auch fehlt eine wirksame Beschwerdestelle falls die Gewerbewegsehämter ihrer Aufsichtspflicht unzureichend nachkommen.

XY ungelöst !!!

Die katastrophale Arbeitssituation im Pflegebereich mit tlw. unsäglichem Arbeitsklima, wie es bei wegen Pesonalmangels auesserst gestresstem Personal zwangsläufig die Folge ist, hat ihren Ursprung beim noch immer ungelösten Finanzierungsproblem !
Die Basis der Einzahler ist vor allem bezüglich der Gruppe eigentlich finanziell leistungsfähigen viel zu klein ! Hinzu kommt das ein nicht unerheblicher Teil der privaten "Big-Player" der Pflegekonzerne unverschämt viel Geld aus dem System zieht, um es wiederum deren AktionärInnen zukommen zu lassen.
Diese Umverteilung von "unten" nach "oben" ist gemeingefährlich und gefährdet nicht nur in höchsten Masse die Gesundheit vor allem der Wehrlosen, sondern auch den Zusammenhalt unserer Gesellschaft !
Die Pandemie macht dieses Staatsversagen überdeutlich, denn wenn´s wirklich noch enger werden sollte fehlt nach über einem halben Jahr Pandemiegeschehen noch immer das Personal für die so gefeierte hohe Zahl an Intensiv-Pflegebetten !!!