
Olaf Könemann kann das Wort versandkostenfrei nicht mehr hören. Denn was Kunden von Online-Händler erfreut, ärgert den Paketzusteller nur noch. „Der Boom des Internet-Handels hat unsere Situation wahnsinnig verschärft“, sagt Könemann, der für die Post-Tochter DHL in Hamburg ausliefert. Da diese Haustarifverträge mit der Gewerkschaft ver.di abgeschlossen hat, geht es Könemann verhältnismäßig gut. Doch dass andere Paketdienstleister vor allem über Subunternehmer die geltenden Arbeitszeit- und Mindestlohnregelungen umgehen, ist für Könemann „fast schon moderne Sklaverei“.
16 Stunden Arbeit für 4,50 Euro Stundenlohn
Ver.di-Chef Frank Bsirske hatte die Praxis Ende Februar in einem Interview scharf kritisiert und von „mafiösen Strukturen“ bei einigen Paketzustellern gesprochen. „Unternehmen wie Hermes engagieren Firmen, die wiederum andere Firmen beauftragen, die dann Menschen aus der Ukraine, aus Moldawien oder aus Weißrussland in die Lieferfahrzeuge setzen“, so Bsirske. Bei „Arbeitszeiten von zwölf oder sogar 16 Stunden am Tag“ würden dabei „Stundenlöhne von 4,50 oder sechs Euro gezahlt“.
Eine Praxis, die auch Olaf Könemann, selbst ver.di-Mitglied, Sorge macht. „Immer mehr Zusteller können kein Deutsch und noch nicht mal Englisch“, hat er beobachtet. Das mache es zum einen schwierig, sie auszubilden, zum anderen sei es für sie kaum möglich, ihren Beruf vernünftig auszuüben, da schon das Lesen von Klingelschildern eine hohe Hürde sein kann. „Unser Beruf ist ein Kommunikationsberuf“, sagt Könemann.
Arbeitsminister Heil will Nachunternehmerhaftung einführen
Dass sich die Kollegen nicht gegen Dumpinglöhne und gesetzeswidrige Arbeitszeiten wehren, kann er sogar nachvollziehen. „Sie sind ja froh, dass sie überhaupt eine Arbeit haben.“ Allerdings erhöhe ihre Situation auch den Druck auf diejenigen, die wie er zu besseren Konditionen arbeiten. So hat die Deutsche Post als Reaktion auf den sich verschärfenden Wettbewerb im Paketmarkt bereits 2015 diverse regionale Tochtergesellschaften gegründet. Für die rund 13.000 Beschäftigten der DHL Delivery GmbH gelten nicht die Haustarifverträge der Post, sondern regionale Tarifverträge des Speditions- und Logistikgewerbes mit wesentlich schlechteren Arbeitsbedingungen und geringeren Löhnen. Ver.di versucht gerade, das zu ändern.
Olaf Könemann ist deshalb froh, dass die Politik die Forderung von ver.di-Chef Bsirske nach Einführung einer sogenannten Nachunternehmerhaftung aufgenommen hat. Diese soll sicherstellen, dass der eigentliche Auftraggeber für die korrekten Arbeitsbedingungen bei allen Subunternehmern verantwortlich ist und bei Verstößen haftet. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wird einen entsprechenden Gesetzentwurf in dieser Woche in den Bundestag einbringen. Vorbild ist die Baubranche, in der die Nachunternehmerhaftung bereits seit 2002 gilt.
Bundesratsinitiative aus Niedersachsen
In dieselbe Richtung geht eine Bundesratsinitiative, die das Land Niedersachsen gestartet hat. Sie orientiert sich an der Fleischwirtschaft, wo ebenfalls die Nachunternehmerhaftung gilt. „Die großen Logistikunternehmen dürfen sich der Verantwortung für die Lohn- und Arbeitsbedingungen der bei Subunternehmen angestellten Kurierfahrer und Paketboten nicht entziehen“, fordert Ministerpräsident Stephan Weil. Eine „vernünftig ausgestaltete Nachunternehmerhaftung und schärfere Kontrollen“ sollen nach seinem Willen die Ausbeutung von Arbeitnehmern und das Umgehen von Steuer- und Sozialversicherungspflichten verhindern.
Für Olaf Könemann gehen diese Vorhaben in die richtige Richtung. Ginge es nach dem DHL-Mann, wären auch verpflichtende Sprachkurse für Paketzusteller sinnvoll. „In Dänemark gibt es so etwas.“ Und auch über seine Branche hinaus hat er eine Forderung: Der Mindestlohn soll bis 2020 auf 12 Euro angehoben werden. Eine entsprechende Petition hat Könemann bereits im vergangenen Jahr gestartet. Im Entwurf für das Europawahlprogramm der SPD findet sich die Forderung bereits.