vorwaerts.de: Frau Marks, der Parteivorstand hat Mitte April ein umfangreiches Papier für eine bessere Unterstützung von Ein-Eltern-Familien vorgelegt. War das schon lange geplant oder
woher kommt das Interesse zu diesem Zeitpunkt?
Caren Marks: Die SPD setzt sich schon seit Langem für Alleinerziehende ein und hat in den letzten Jahren Einiges erreicht. Als Beispiele nenne ich das Elterngeld, den
Kinderzuschlag und den Ausbau der Betreuungsangebote. Aber wir müssen noch mehr tun. 40 Prozent der Alleinerziehenden befinden sich in der Grundsicherung. Diese Gruppe braucht besondere
Unterstützung, um einen Job annehmen zu können. Ein großes Problem sind die häufig noch fehlenden Betreuungsangebote. Daher ist die Vorstellung der Bundesarbeitsministerin naiv, die
Arbeitsagentur könne hier vermitteln. Wenn kein Kitaplatz da ist, wie soll die Behörde dann helfen? Die Bundesfamilienministerin ist hier gefragt, schleunigst Lösungen anzubieten. Von ihr kommt
aber nichts.
Ein Schwerpunkt liegt im Ausbau der Infrastruktur für verlässliche Kinderbetreuung. Die SPD fordert neben ganztägiger Betreuung auch Angebote außerhalb der regulären Betreuungszeiten. Wie
sehen Sie die Chancen, diese Verbesserungen kurzfristig umzusetzen?
Wir brauchen vor allem für Alleinerziehende, aber mittelfristig für alle Familien, einen Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung für Kinder ab dem ersten Geburtstag. Ein Rechtsanspruch auf
einen Betreuungsplatz ab 2013 ist bereits gesetzlich verankert. Wir wollen diesen Rechtsanspruch nicht nur umsetzen, sondern noch erweitern. Er gibt den Eltern die Garantie auf einen Platz. Eine
Betreuung außerhalb der regulären Zeiten ist vereinzelt nur durch Tagespflegepersonen möglich. Wenn der politische Wille da ist, lässt sich Vieles natürlich schneller ändern.
Sehen Sie den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung in Gefahr?
Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren kommt 2013, daran ist nicht zu rütteln. Aktuell besteht ein großes Problem darin, dass die Kommunen finanziell am
Abgrund stehen und die Bundesregierung ihnen nicht hilft. Diese Situation ist gefährlich für den Kinderbetreuungsausbau.
Die Bundesfamilienministerin schert sich nicht um dieses Problem und lässt Familien und Alleinerziehende im Regen stehen. Der weitere Ausbau der Platzzahlen, die Verbesserung der Qualität
und der Fachkräftemangel sind Fragen, auf die die Ministerin Antworten schuldig bleibt. Sie fordert ein unsinniges Betreuungsgeld, das den Krippenausbau und den Rechtsanspruch konterkarieren
würde.
Die SPD sagt klar: Der verabredete Rechtsanspruch darf nicht in Frage gestellt werden. Familien warten darauf.
Im Papier wird u.a. die "Umstellung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten auf einen Abzug von der Steuerschuld" gefordert, was bedeutet das konkret?
Wir wollen die vollständige Befreiung der frühkindlichen Bildung von Gebühren. Solange wir dieses Ziel nicht erreicht haben, sind Verbesserungen im Steuerrecht ein Instrument.
Heute können Familien Betreuungskosten wie Werbungskosten oder Sonderausgaben von ihrem zu versteuernden Einkommen abziehen. Dieser Abzug wirkt sich progressionsabhängig aus und begünstigt
damit vor allem Familien mit höheren Einkommen.
Als familienpolitische Sprecherin setze ich mich dafür ein, dass Familien und Alleinerziehende Kinderbetreuungskosten anteilig als Abzug von der Steuerschuld geltend machen können. Dies
würde sich für alle Steuerpflichtigen gleich auswirken. Das kommt vor allem Familien mit niedrigen Einkommen zugute, bei denen sich eine progressionsabhängige Entlastung kaum auswirkt.
Wo sehen Sie neben der unzureichenden Betreuungssituation in Deutschland den größten Handlungsbedarf, um Familien, insbesondere Ein-Eltern-Familien zu unterstützen?
Den größten Handlungsbedarf sehen wir bei der Bekämpfung der Familien- und Kinderarmut. Hier hilft nur ein umfassendes Gesamtkonzept, denn Familien brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur.
Dazu gehören familienfreundliche Arbeitszeiten, gezielte finanzielle Leistungen und bedarfsgerechte Angebote der Bildung und Betreuung.
Nächstes Jahr kommt die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU, daher muss es schnell einen gesetzlichen Mindestlohn geben. Wenn die allein erziehende Bäckereifachverkäuferin zu einem
Dumpinglohn im Laden steht, kommt sie mit ihren Kindern nicht über die Runden. Übrigens haben bereits 20 EU-Staaten einen gesetzlichen Mindestlohn - warum nicht endlich auch Deutschland?
Den Beschluss des SPD-Parteivorstandes für eine bessere Unterstützung für Alleinerziehende finden Sie unter
www.spd.de oder als PDF-Datei im Anhang.