Anschübe gegen die Armut

Jérôme Cholet20. Dezember 2011

Die Bundesrepublik leistet jedes Jahr Millionen für die Entwicklungszusammenarbeit, einen großen Teil davon als finanzielle Zusammenarbeit über die deutsche KfW Entwicklungsbank. Armutsbekämpfung spielt dabei eine große Rolle. Dabei wird vielfach kritisiert, dass das meiste Geld jedoch versickert oder aber nur deutsche Arbeitsplätze fördert. Was also kann die finanzielle Entwicklungshilfe? 

Zwei Staudämme, ein riesiges Kanalsystem und eine um das vierfache gesteigerte Kartoffelproduktion sind das Ergebnis. Ausgerechnet in den bolivianischen Anden, in einer der größten Berglandschaften der Welt, hat die deutsche KfW mit Zuschüssen beim Auf- und Ausbau eines Bewässerungssystems geholfen. Mit Erfolg -  in einer Region, in der 96,2 Prozent der Bevölkerung in Armut lebten werden nun tonnenweise Kartoffeln angebaut - auch für die überregionalen Märkte. Damit hat die deutsche Entwicklungszusammenarbeit etwa 5.000 betroffenen Bolivianerinnen und Bolivianern eine neue Einkommensquelle erschlossen. Etwa 1.200 Familien verfügen jetzt über mehr Geld, um in Bildung, Gesundheit und die Verbesserung der Lebensumstände zu investieren.

Doch ist alles so einfach?

„Zwar hatte die Region im Süden Boliviens schon immer eine Bewässerungstradition, die Kanäle waren allerdings unvollständig, vielfach löchrig und kaputt,“ erklärt Dr. Jürgen Fechter von der KfW Entwicklungsbank, der das Projekt zwischen der bolivianischen Provinzregierung und Deutschland fachlich betreut. Die Bundesregierung hatte sich vor zehn Jahren für das Anden-Projekt stark gemacht, denn im Gegensatz zu anderen Regierungen hatte die bolivianische einen Schwerpunkt auf Armutsbekämpfung durch die Förderung der indianischen Bevölkerung gelegt und eine Wasserstrategie entwickelt.

Doch die Mühlen der Entwicklungszusammenarbeit mahlen langsam. Mit der Prüfung des Projektantrages und der Entsendung eigener Ingenieure vergingen bereits zwei Jahre. Die Bauern mussten sich besser organisieren, der Landbesitz geklärt und die Wasserumverteilung vorbereitet werden. Erst im Jahr 2003 konnten dann 2.000 Bolivianer mit Spaten, Schaufeln und Betonmaschinen die Kanäle bauten. Ein bolivianisches Bauunternehmen unter der Qualitätskontrolle deutscher Ingenieure machte sich gleichzeitig an den Bau zweier Staudämme.

„Das gesamte Projekt war in verschiedene Abschnitte eingeteilt,“ sagt Dr. Fechter (KfW), „jedes Zwischenergebnis musste von uns abgenommen werden, sonst gab es kein Geld. Und alle Aufträge waren landesweit ausgeschrieben worden, Vetternwirtschaft wäre da schnell an die Öffentlichkeit gekommen.“

Immerhin stellte die Bundesregierung fast 12 Millionen Euro bereit. Ziel war, die Armut in der bolivianischen Provinz Chuquisaca zu bekämpfen, wozu sich die Bundesrepublik – wie alle anderen Staaten der Welt – in der Milleniumserklärung im Jahr 2000 verpflichtet hatte. Denn bis zum Jahr 2015 sollen sich Armut, Kindersterblichkeit, Müttersterblichkeit und Analphabetentum auf der Welt halbiert haben. In diesem Rahmen steht auch das Finanzprojekt in Incahuasi.

„In diesem Fall hatten uns die Qualität des Projektes, die Realisierbarkeit und der Beitrag zur Bekämpfung von Hunger, Armut und sozialer Spaltung überzeugt,“ sagt Dr. Fechter, „irgendwo müssen wir ja anfangen. Und das Land Bolivien strengt sich wirklich sehr an, so dass unsere Hilfe hier viel bewirken kann.“

Vielfach wird der Entwicklungszusammenarbeit vorgeworfen, im Gießkannenprinzip tröpfchenweise Geld zu verteilen, das dann in vereinzelten Projekten ohne nachhaltigen Nutzen versickert. Bolivien zählt aus deutscher Sicht nicht unbedingt zu den Ländern, zu denen lange historische Beziehungen bestehen oder deutsche Interessen besonders gefördert werden müssten. Aber es gehört zu den ärmsten Ländern Lateinamerikas - auch aufgrund seiner komplizierten Geographie.

Präsident Evo Morales, der das Land seit 2006 regiert und 2009 mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt wurde, ist selber indianischer Herkunft. Er selber lebte als Kind in schwerer Armut, vier seiner Brüder starben in jungen Jahren. Selbst hat er es zum Präsidenten geschafft, sein Land aber steht weiterhin vor zwei großen Problemen, erstens der ungleichen Verteilung des Landesbesitzes und zweitens der ungleichen Verteilung des Einkommens. Vielfach kam es in Bolivien zu Abspaltungsversuchen einzelner Provinzen und sozialen Unruhen.

Doch Morales gelingt es seit Amtsantritt sein Land zusammenzuhalten und auch für Kleinbauern und arme Familien Einkommensquellen zu erschließen. Das Projekt in Incahuasi leistet dazu einen wichtigen Beitrag. „Neben Kartoffeln haben die Menschen hier begonnen, auch neue Produkte wie Tomaten und Knoblauch anzubauen, denn wenn alle dasselbe anbauen, fallen die Preise,“ sagt Dr. Jürgen Fechter, „die Landbesitzer am Oberlauf haben eine Entschädigung für das umgeleitete Wasser erhalten, die bewässerten Flächen sind nun produktiver und auch im Wert gestiegen.“

Bis ins vergangene Jahr haben Deutsche und Bolivianer an den letzten Feinheiten des Projekt gearbeitet, bereits seit 3 Jahren konnte die  Ernte aus den bewässerten Flächen auf die umliegenden Märkte verteilt werden. Die örtliche Bauernorganisationen verhandelt die Preise mit den Händlern, nach jeder Ernte wird ein Teil des Profits zur Seite gelegt, um die Kanäle zu reinigen, auszubessern und vor Erosion zu schützen. „Dabei haben die Menschen vor Ort ein großes Eigeninteresse, dass es mit dem Erhalt der Kanäle vorangeht,“ sagt Dr. Fechter. Darüber hinaus konstatiert der Agraringenieur einen klaren Lerneffekt, Nach ersten Problemen mit Schädlingsbefall beim Anbau von Knoblauch haben die Bauern erneut und erfolgreich versucht, das Gemüse zu produzieren. Und drei Provinzregierungen sind bereits dabei mit der KfW sechs weitere kleine Dämme zu bauen.

Dabei waren die Bedingungen in Incahuasi außerordentlich gut. Die Bauern kannten sich in der Bewässerungswirtschaft aus. „Und dazu muss man nicht Lesen und Schreiben können,“ wie Dr. Fechter berichtet, „nur einfach ein guter Landwirt sein, ein wenig pfiffig, sich organisieren, fleißig sein und ein Gefühl für die Märkte haben.“ Im kommenden Jahr wird Dr. Fechter noch mal in die entlegene Region reisen und das Projekt evaluieren. Da es sich nicht um Kredite sondern Zuschüsse der Kreditanstalt für Wiederaufbau handelte, kommt das Geld nicht wieder zurück. Die Effekte müssen dafür umso größer sein, schließlich hätten viele andere Projekte auf der Welt gefördert werden können. Ob die Maßnahmen allerdings so umfassend sind, dass damit das gesamte Land Bolivien irgendwann aus der Schulden- und Armutsfalle kommt, ist nicht absehbar.

weiterführender Artikel