Koalitionsvertrag

Ampel-Koalition: Sieben Punkte für gesellschaftlichen Fortschritt

Jonas JordanBenedikt DittrichKai Doering24. November 2021
Zeichen des gesellschaftlichen Fortschritts: Bundesinnenministerin Nancy Faeser hisst vor ihrem Ministerium die Regenbogenflagge.
Zeichen des gesellschaftlichen Fortschritts: Bundesinnenministerin Nancy Faeser hisst vor ihrem Ministerium die Regenbogenflagge.
Nach sechzehn Jahren wird es künftig wieder eine SPD-geführte Bundesregierung geben. Dadurch ist auch in vielen gesellschaftspolitischen Fragen ein Fortschritt möglich. Beispielsweise bei diesen sieben Punkten, die die Union stets blockiert hat.

Cannabislegalisierung

Dieses Thema war in den vergangenen Wochen vor allem in den sozialen Medien intensiv diskutiert worden. Zuletzt hatte der Hanf-Verband ausgerechnet, dass eine Cannabislegalisierung dem Staat bis zu fünf Milliarden Euro zusätzliche Steuereinnahmen bescheren könnte. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es nun dazu: „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein.“ Dadurch sollen die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet werden. Das Gesetz soll nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen evaluiert werden. Modelle zum Drugchecking und Maßnahmen der Schadensminderung sollen ermöglicht beziehungsweise ausgebaut werden.

Demokratiefördergesetz

Lange war es von der SPD gefordert worden. Ein von Justizministerin Christine Lambrecht auf den Weg gebrachter Gesetzesentwurf, der 89 Einzelmaßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus vorsah, wurde von der Union blockiert. Zuletzt hatte der SPD-Innenexperte Uli Grötsch Anfang des Monats im Interview mit dem „vorwärts“ gesagt: „Es wird deshalb eine der wichtigen Aufgaben in der kommenden Legislatur sein, das Demokratiefördergesetz endlich unter Dach und Fach zu bringen.“

Die Ampelparteien bekennen sich im Koalitionsvertrag nun klar: „Zur verbindlichen und langfristig angelegten Stärkung der Zivilgesellschaft werden wir bis 2023 nach breiter Beteiligung ein Demokratiefördergesetz einbringen.“ Damit sollen die zivilgesellschaftliche Beratungs-, Präventions- und Ausstiegsarbeit sowie das Empowerment von Betroffenengruppen gestärkt und diese vor Angriffen geschützt werden.

Paragraph 219a

Der Paragraph 219a im Strafgesetzbuch regelt das Verbot, für Schwangerschaftsabbrüche zu werben. Von Frauenrechtsorganisationen wird jedoch seit langem kritisiert, dass dadurch auch die Informationsmöglichkeiten von Ärzt*innen zu Schwangerschaftsabbrüchen erheblich eingeschränkt und kriminalisiert werden. Die Ampel-Koalition reagiert auf diese Kritik. Daher heißt es im Koalitionsvertrag: „Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Daher streichen wir § 219a StGB.“

Transsexuellengesetz

„Der Begutachtungszwang und die Fremdbestimmung, die das Transsexuellengesetz mit sich bringt, sind inzwischen einfach überholt“, sagte Oliver Strotzer, Co-Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft SPDqueer, vor kurzem im Interview mit dem „vorwärts“.

Auch Betroffenen fordern seit längerem Änderungen bezüglich der Rechtslage. Die soll es nun auch geben: „Wir werden das Transsexuellengesetz abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Dazu gehören ein Verfahren beim Standesamt, das Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand grundsätzlich per Selbstauskunft möglich macht, ein erweitertes und sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot und eine Stärkung der Aufklärungs- und Beratungsangebote.“ Die Kosten für geschlechtsangleichende Operationen sollen künftig vollständig von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden.

Blutspendeverbot

Im selben Interview forderte Strotzers Co-Vorsitzende Carola Ebhardt: „Weiterhin muss das Blutspendeverbot für Männer, die mit Männern schlafen, gekippt werden. Hier muss sich neben einigen Parteien auch die Ärztekammer bewegen.“ Auch diesem Thema hat sich die Ampel-Koalition angenommen. Im Vertrag steht: „Das Blutspendeverbot für Männer, die Sex mit Männern haben, sowie für Trans-Personen schaffen wir ab, nötigenfalls auch gesetzlich.“

Staatsangehörigkeitsrecht

Die Ampel-Parteien wollen die Mehrfachstaatsangehörigkeit ermöglichen und den Weg zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vereinfachen. Eine Einbürgerung soll in der Regel nach fünf Jahren möglich sein, bei besonderen Integrationsleistungen nach drei Jahren. Eine Niederlassungserlaubnis soll nach drei Jahren erworben werden können. In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern werden mit ihrer Geburt deutsche Staatsbürger*innen, wenn ein Elternteil seit fünf Jahren einen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Für Angehörige der Gastarbeitergeneration soll die Einbürgerung in Anerkennung ihrer Lebensleistung erleichtert werden.

Wählen ab 16

Was in einigen Bundesländern und den Kommunalwahlen längst üblich ist, soll nun auch im Bund und zur Europawahl gelten: Ab dem 16. Geburtstag sollen künftig auch Jugendliche bei der nächsten Bundestagswahl ihr Kreuz machen. Die Zahl der abgegebenen Stimmen könnte künftig außerdem noch wachsen, weil die neue Koalition auch das Wählen im Ausland für deutsche Staatsbürger*innen erleichtern will.

Beim passiven Wahlrecht – also wer gewählt werden kann – bleibt es beim Mindestalter von 18.

Dieser Artikel wurde zuerst im November 2021 veröffentlicht.

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