Rechtsextreme und fremdenfeindliche Einstellungen sind vor allem bei jungen Männern zu finden - lautet eine verbreitete Annahme. Doch genaueren Untersuchungen hält dieses Vorurteil nicht
stand. So ergab eine aktuelle Befragung in europäischen Ländern zu Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung, dass in der Gruppe der über 66-Jährigen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und
chauvinistische Einstellung überdurchschnittlich ausgeprägt sind.
Diesen überraschenden Aspekt der Untersuchung trug einer der Autoren der Studie, Professor Andreas Zick von der Universität Bielefeld, bei der Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung
"SeniorInnen gegen ,rechts'? - Demokratische und antidemokratische Einstellungen von SeniorInnen und Folgen für die politische Bildungsarbeit" am 1. Juli in Berlin vor. Der Wissenschaftler
stellte klar, dass der Prozess des Alterns individuell durchaus unterschiedlich sei, sich gleichwohl bestimmte Tendenzen mit zunehmendem Lebensalter verstärkten: Dazu gehörten Ängste, abnehmende
Flexibilität wie auch häufig eine vermehrte Unzufriedenheit. "Beim gesamtgesellschaftlichen Trend der letzten Jahre, weniger Solidarität mit Schwachen zu üben, bilden die Älteren keine Ausnahme.
Dabei sind sie selbst oft Opfer von Ausgrenzung und Stigmatisierung." Es gelte, diese größer werdende gesellschaftliche Gruppe sowohl als Quelle fremdenfeindlicher Meinungen stärker wahrzunehmen
wie auch als Adressatin von Diskriminierung.
Häufiger Schwierigkeiten, das Blickfeld zu erweitern
Der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering betonte in seinem anschließenden Vortrag die Verantwortung aller für das Gelingen der Demokratie - unabhängig vom Alter. "Die Frage des
Alters ist sicher nicht entscheidend dafür, wer in einem bestimmten Punkt Recht hat." Es gebe jedoch keinen Automatismus, mit zunehmendem Alter konservativer zu werden oder sich fremdenfeindlich
zu äußern. Hingegen räumte der SPD-Politiker ein, dass die Gruppe der heute Älteren noch stärker nationalstaatlich geprägt sei als die nachfolgenden Generationen. Hier hätten über 60-, 70-Jährige
zweifellos häufiger Schwierigkeiten, das Blickfeld zu erweitern und Probleme im europäischen oder auch globalen Zusammenhang wahrzunehmen.
In der anschließenden Podiumsdiskussion erinnerte Professor Wolfgang Benz, der ehemalige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, an den Umgang der älteren
Generation mit den eigenen Erinnerungen an den Nationalsozialismus. "Dieses Thema wurde weitgehend totgeschwiegen - und später verteidigte die Elterngeneration bestimmte Werte aus dieser Zeit, um
die eigene Lebensleistung aufzuwerten." Und so sei auch diese Haltung, dass "nicht alles schlecht gewesen sei in der Nazizeit", oft an Kinder und Enkel weitergegeben worden.
Wenig Erfahrung mit Zivilcourage
Der Gerontologe Peter-Georg Albrecht von der Hochschule Magdeburg-Stendal verwies auf die anhaltend hohe Tabuisierung von Themen wie Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, aber auch
Zivilcourage. Im Rahmen einer Untersuchung hatte er über 60-Jährige in Ostdeutschland zu ihren Einstellungen und persönlichen Erfahrungen mit diesen Themen befragt und dabei wenig Greifbares zu
hören bekommen. "Eine eigene Betroffenheit wurde oft geleugnet, fremdenfeindliche Äußerungen wurden stattdessen in die Nachbarschaft verlagert." Mit Zivilcourage hatten die meisten der Befragten
weder eigene Erfahrungen gemacht, noch ein posives Beispiel nennen können. Es sei jedoch wichtig, dass Ältere Wissen weitergäben und die eigenen Erfahrungen differenziert vermitteln könnten. Auch
Wolfgang Benz sah hier eine Aufgabe für Seniorinnen und Senioren. Sie sollten ihre Erfahrungen in Alltagsdiskussionen einbringen und etwa "darauf hinweisen, dass die heutige Islamfeindlichkeit
ähnliche Züge trägt wie der Antisemitismus der Vergangenheit".
Franz Müntefering warnte davor, das demokratische System in Deutschland als Selbstverständlichkeit anzusehen. "Autoritäres Denken ist tief verwurzelt, und da die Folgen der Globalisierung
bei vielen Menschen starke Ängste erzeugen, wird das demokratische System schnell in Frage gestellt, wenn es Probleme gibt." Dagegen helfe eine offene Debatte.
Zu bürgerschaftlichem Engagement gegen Rechts bewegen
Dass Ältere ihre Erfahrungen und ihr Wissen gerne weitergeben, betonte Helga Walter, die ehemalige Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesseniorenvertretungen. "Man darf nicht
übersehen, dass sich Senioren auch gegen rechts und in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen engagieren. Man sollte die Älteren aber noch stärker motivieren und mobilisieren."
Um die praktischen Möglichkeiten, Seniorinnen und Senioren zu bürgerschaftlichem Engagement gegen Rechts zu bewegen ging es in vier Workshops, die sich an die Diskussion anschlossen. Dabei
wurden auch bestehende Projekte präsentiert, wie etwa "Generation 50plus im Netz gegen Nazis", bei dem Ältere gezielt gegen rechtsextreme Inhalte im Internet mit Statements und Aufklärung
vorgehen.