Heimat

Ali Can: „metwo ist der Ausdruck des Bedürfnisses anzukommen“

Jonas Jordan18. Oktober 2018
Als Flüchtling kam Ali Can mit zwei Jahren aus der Türkei nach Deutschland. Später gründete er die „Hotline für besorgte Bürger“ und initiierte den Hashtag #metwo. Drei Orte in Deutschland sieht der Sozialaktivist als Heimat.

Was bedeutet Heimat für Sie?

Das ist für mich keine einfache Frage. Denn häufig zielt die Frage, was Heimat bedeutet, auf etwas Spezifisches ab, sei es geographisch oder ein bestimmtes Gefühl. Es gibt so viele Ebenen von Heimat. Für mich sagt dieser Begriff, dass ich mich wohl fühle und langfristig an einem Ort leben kann.

Wie hat sich Ihr Bild von Heimat verändert?

Früher dachte ich, dass der Südosten der Türkei meine Heimat ist. Denn dort bin ich geboren. Das Land, die Sprache und das Essen sind mir vertraut. Dort leben Menschen, die ähnlich aussehen wie ich. Später habe ich begriffen, dass in der Türkei zwar meine Wurzeln liegen, aber ich Heimatgefühle in Deutschland empfinde. Viele Menschen haben mir hier die Möglichkeit gegeben, Deutschland zu meiner Heimat zu machen. Mit dem Grundgesetz, der Offenheit und der sozialen Demokratie fühle ich mich hier sehr wohl.

Ist Heimat für Sie ein spezifischer Ort innerhalb Deutschlands?

Es gibt drei Orte, an denen ich mich heimisch fühle. Einer ist Warendorf im Münsterland. Denn das ist der erste Ort, an den ich mich erinnern kann. Dort bin ich in den Kindergarten und zur Schule gegangen. Auch in Pohlheim in der Nähe von Gießen fühle ich mich heimisch. Dort leben meine Verwandten, ich habe da mein Abitur gemacht und in Gießen studiert. Inzwischen wohne ich in Essen, wohin ich zunächst wegen des Jobs gezogen bin. Dort leben Menschen, mit denen ich gerne Zeit verbringe und das Ruhrgebiet erkunde.

Welche Rolle hat die Kampagne #metwo in Bezug auf Ihren Heimatbegriff gespielt?

Bei #metwo ging es uns darum, aufzuzeigen, wann wir uns in Deutschland nicht heimisch fühlen. Wenn wir als Migranten auf der Straße angefeindet werden, aber auch bei Szenen wie in Chemnitz, wo Menschen Hitlergrüße gezeigt haben oder bei Äußerungen von Horst Seehofer, wonach Migration die „Mutter aller Probleme“ sei, machen mich nachdenklich. Denn im Grunde ist #metwo der Ausdruck des Bedürfnisses anzukommen und als Teil der Gesellschaft akzeptiert zu werden.

Wie hat sich Ihr Bild von Deutschland durch die Vorfälle in Chemnitz verändert?

Schon vorher wusste ich, dass es Rechtsextreme gibt, aber seit sich die Grenze des Sagbaren deutlich nach rechts verschoben hat, habe ich Angst, dass es umschlägt in physische Gewalt. Deutschland ist ein fortschrittliches Land, aber ich habe Angst, dass es ins Wanken gerät. Die Vorfälle haben mich alarmiert.

Sie haben bereits vor einiger Zeit die „Hotline für besorgte Bürger“ gegründet. Haben Sie das Gefühl, dass diese Leute Angst vor dem Verlust ihrer Heimat haben?

Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass Besorgnis in Ablehnung all dessen, was sie als fremd empfinden, übergangen ist. In Ablehnung Menschen, die anders aussehen, sich anders verhalten oder eine andere Religion haben. Die Angst schlägt immer mehr in Wut um. Statt besorgter gibt es immer mehr wütende und fremdenfeindliche Bürger.

Erreichen Sie die Menschen denn noch, die bei Ihnen anrufen?

Mir geht es nicht darum, Menschen zu überzeugen, sondern ein Ansprechpartner zu sein. Es gibt viele Menschen mit berechtigten Ängsten, Sorgen und Fragen. Die gibt es auch in der SPD und bei den Linken. Diese Menschen möchte ich erreichen und mit ihnen gemeinsam über Themen sprechen.

Was ist Heimat?

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Kommentare

Der Grat kann schnell dünn werden

"Denn im Grunde ist #metwo der Ausdruck des Bedürfnisses anzukommen und als Teil der Gesellschaft akzeptiert zu werden."

Das kann ich gut verstehen. Aber #metwo ist selber auch schnell abwertend und ausgrenzend, zumal rein demografisch Migranten (verschiedener Couleur) gegenüber "Provinzlern" schon mittelfristig am längeren Hebel sitzen. Der Grat ist schnell dünn, ob es mehr vereint oder mehr teilt. Aus meiner Sicht muss man sich von dem alten Bild einer rein biodeutschen Mehrheitsgesellschaft verabschieden - mit den Babyboomern läuft das in den nächsten 10-15 Jahren aus. Das kann Migranten (und andere) einerseits freuen - andererseits macht es das Leben auch anstrengender. Die Verhältnisse sind nicht mehr so klar, Migranten bekommen mehr Verantwortung für die Gesellschaft, was auch mehr Ansprüche (bzw. andere Ansprüche) an einen bedeutet.

natürlich

ändert sich mit der Zusammensetzung der Bevölkjerung auch der Staat im ganzen. Er nähert sich den Zuständen solcher Staaten an, aus denen die Menschen zu uns fliehen, jedenfalls dann, wenn es nicht gelingt, diesen die Ursachen für das Scheitern ihres Heimatlandes zu vermitteln. Hierherkommen und weitermachen wie zuhaus- das führt dann zu Zuständen wie zuhaus

Gegenseitiger Austausch von alltäglichen Bedürfnissen!

Die Hotline für besorgte Bürger[innen] ist eine sehr gute Einrichtung, aber es muss weiter gehen. Damit die unterschiedlichen Bevölkerungen sich besser verstehen, müssen sie häufiger ins Gespräch kommen. Und zwar über die Dinge im alltäglichen Lebens. Hierfür ist es wichtig, dass z. B. die verschiedenen Religionsgemeinschaften sich als Körperschaft öffentlichen Rechts weiterentwickeln. Das ist die Grundlage, dass in der Folge diese Religionsgemeinschaften KöR auch entsprechende freie Wohlfahrtverbände gründen, die der Bevölkerung soziale Dienste anbieten und vom Staat bezahlt werden. Die Caritas, die Diakonie und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland [ZWST] leben dies vor, ohne dass es dadurch zu einer irgendwie gearteten Ghettoisierung kommt. Das sind die Dinge des alltäglichen Lebens, über die man ins Gespräch kommt. Hier widerspreche ich ausdrücklich Sineb el Masrar, die eine islamische Religionskörperschaft öffentlichen Rechts für diskriminierend hält, weil Alewiten, Buddhisten etc. in der deutschen Bevölkerung nicht kritisiert werden, obwohl sie nicht öffentliche Gemeinden haben. E.V sind erstens öffentlich und zweitens geht es um eine soziale Folgenabschätzung.

alles gut und schön, aber

wenn sie die Gelegenheit hätten, Parallelgesellschaften zu betrachten, dann wüssten sie, dass sich diese in ihrem eigenen lebensumfeld informieren und dies teils müssen, weil sie auch in der 3 hier lebenden Generation keine Sprachkenntnisse in deutsch haben. Wie soll da der Austausch gelingen? Schauen sie sich in den entsprechenden Gebieten um- Kinder werden ohne deutschkennisse eingeschult.

Die Bemühungen der Bemühten in allen Ehren. In der großen Zahl gelingt die Integration nicht, weil man auch ohne Deutschkenntnisse gut hier leben kann. Wenn dann auch noch in der Argwohn gegen die westliche Gesellschaft genährt wird von hier nicht lebenden Predigern, gehen alle Schulbemühungen zwangsläufig zunichte. darf man so was hier schreiben? Ich glaube es nicht, aber zuweilen geschehen Wunder, vielleicht auch diesmal hier

Einspruch Euer Ehren !

Wenn in Deutchland Integration scheitert ist des nicht selten hausgemacht !
Es gibt auch in Deutschland Best-Prctice-Beispiele wo ablesbar ist, was nötig oder hilfreich ist, damit Integration gelingt.
Diue zahlreichen Ressourcen: Vereine, Initiativen, Bildungseinrichtungen werden leider nicht in der vollen Breite genutzt um Integration zu beschleunigen ! Natürlich ist Sprache die Voraussetzung! Dafür sind aber zumindest 2 Dinge notwendig:
1. Das Angebot an Sprachkursen und die Sprachlehrer/innen Beides fehlt in Deutschland noch zuhauf !
2. Niederschwellige Möglichkeiten die Sprachkenntnisse zusammen mit der einheimischen Bevölkerung anzuwenden und sich gegeseitig kennezulernen !
In beiden Be reiche sind wir ein Entwicklungsland !
Hinzu kommt ein eklatanter Mangel an Gastfreundschaft bei einem hohen Teil der deutschen Bevölkerung und Unkenntnisse über fremde Religionen und Kulturen ! Also ein Bildungsproblem !
Mein Vorschlag wäre ein Projektarbeitsmarkt als Teil der Ablösung der HartzIV-Gesetze.
Gemeinsame Projekte von Einheim. mit Zugewanderten getragen über ein breites Spektrum wie Social Sponsoring, Werbemittel, Crowdfunding staat. Mittel, Ehrenamt, Freiw.d. etc!.

Parallelgesellschaften

Natürlich muß auch untersucht werden wie es dazu kommen konnte, dass es in einem angeblich so hoch entwickelten Land wie Deutschland solche Gesellschaften zweifelsohne gibt !
Nur, wir dürfen nicht den Fehler machen die Schuld dafür alleine bei mehr oder weniger extremistischen und/oder politisch ferngesteuerten Religionsgemeinschaften zu sehen !
Der Neoliberalismus hat mit seinem Wertewandel hin zu Egozentrismus, Maximalkonsum und Statusdenken auch in unserer religiös/humanistisch geprägten Lebenswelt für große Irritation und Orientierungslosigkeit gesorgt. Das Erstarken der rechten und rechtsextremen polit. Seite ist ein Beleg auch dafür, genauso wie die zunehmende Mafia- u. Bandenkriminalität wo sich der Status (oft in Form übermotorisierter Automobile) weil es legal nicht klappt auf illegalem Wege passiert.
Wenn wir unser Lebens- und Wirtschaftsmodell nicht ändern gibt es nicht nur mehr Parallelgesellschaften, dann gerät die ganze Gesellschaft durch mehrfache Spaltung unter die Räder !!!

Rückzug in Echokammern

Die Menschen die sich ausgeschlossen fühlen, ziehen sich in ihre selbstgewählten Echokammern zurück. Dafür gibt es vielerlei Anzeichen. Sie suchen Gemeinschaft dort wo es sie noch gibt. Dummerweise ist das momentan oft bei radikalen Religionsgemeinschaften oder bei ausgrenzenden Rechtslastigen bis rechtsextremen Bewegungen und Parteien, die genau diese Lücke in unserer ach so toll entwickelten Gesellschaft füllen !
Unser Staat sollte zumindest das Personal und Steuergeld dafür bereitstellen, dass Gesellschaft wieder gemeinschaftlich funktionieren kann und nicht neoliberal-egozentrisch vor die Hunde geht.
Momentan sieht es gar nicht gut aus ! Da ist der Fetisch "schwarze Null" anscheinend wichtiger wie der Erhalt des gesellschaftlichen Friedens und der Erhalt unserer SPD !!!

wenn wir immer um den kern herumeiern, kommen wir nicht

zu Lösungen- es sind doch nur Moslems, bei denen die Integration in großer Menge misslingt.

Die Delle mit der deutschen Diallele...

Die einzige Parallelgesellschaft, die sich zunehmend sich in Deutschland zusammenrottet ist die der besorgten Bürger[innen]. Tatsächlich sind es [wohl]versorgte und damit und zudem sorglose Bürger[innen]. Sie sind signifikant weißhäutig, kulturchristlich und männlich. Sie igeln sich in Zitationskartellen ein [Zirkelschluss], bestätigen sich gegenseitig fortwährend [infiniter Regress] und wenn man sie kritisch stellt, brechen sie das Gespräch ab [Abbruch des Verfahrens]. Damit erfüllen sie die Kriterien des Münchhausen-Trilemmas von Hans Albert. Und das auch noch auf Deutsch. Hier herrschen Clanregeln und Sippengesetze auf dem Niveau des Musikantenstadl!