Es ist keine Übertreibung: Kaum eine Journalistin ist jemals der AfD so nahe gekommen wie die Spiegel-Redakteurin Melanie Amann. Seit Gründung der Partei im Feburar 2013 pflegt sie Kontakte zu AfD-Funktionären, war auf vielen Parteiveranstaltungen und hat tief hinter die Kulissen der AfD geblickt – sogar im Wohnzimmer des Ex-Manns von Frauke Petry, der Parteichefin, war sie schon. In ihrem Buch „Angst für Deutschland“ bietet sie nun ein umfassendes Bild der Partei.
AfD-Führungsebene: Kränkungen und Anfeindungen
Allen wichtigen Köpfen in der AfD widmet Amann ein eigenes Kapitel: Da gibt es Alexander Gauland, der die „Union aus einer gewissen Kränkung heraus verlassen“ hat – und jetzt im AfD-Bundesvorstand sitzt. Weil er E-Mails nur in ausgedruckter Form lese, kriege er von den ewigen Streitereien seiner Parteikollegen wenig mit, schreibt Amann. So könne er sich als unangefochtener „Grandseigneur“ der AfD aus Schlammschlachten heraushalten. Wie lang der 76-Jährige das noch durchhält, ist offen: „Sein Gesundheitszustand ist auch für enge Parteifreunde ein Geheimnis. Gaulands Aktenkoffer sei eine Art tragbarer Apothekenschrank, berichten sie.“
Im Bundesvorstand sitzt auch Jörg Meuthen, ein Fachochschulprofessor aus Karlsruhe, der mit allen auskommen wolle: Er habe aber die Anfeindungen im Bundesvorstand nicht lang ausgehalten, seine Gesundheit habe darunter gelitten, er habe stark abgenommen, schreibt Amann. Schließlich gibt Meuthen den Landesvorsitz der Baden-Württemberger AfD ab. Damit habe er seine Machtbasis im Bundesvorstand verloren. „Dafür hat er jetzt seine Ruhe“ vom ständigen Hauen und Stechen in der Parteispitze, bilanziert Amann.
Politisches „Power-Paar“: Petry und Pretzell
Die Macht in der Partei konzentriert sich laut Amann um die Bundesvorsitzende Frauke Petry und ihren Ehemann Marcus Pretzell, AfD-Chef in NRW. Das „Power-Paar“ – in der Partei nur „Doppel P“ genannt – hat vor allem eine Gemeinsamkeit: Hätten die beiden keine Landtagsmandate, sowohl Petry als auch Pretzell steckten wahrscheinlich in finanziellen Schwierigkeiten. Amann berichtet über Pretzells „Wurschtigkeit“ und seine „Schlampereien“ in finanziellen Fragen. Die Folge: Pfändung eines AfD-Kontos durch das Finanzamt Bielefeld, drei „Offenbarungseide“ zwischen November 2014 und Juli 2015. Zugleich fordert er von der nordrhein-westfälischen Landesregierung Haushaltsdisziplin. „In seinem Glashaus wirft Pretzell keine Steine, sondern Felsbrocken“, schreibt Amann.
Ähnlich sieht es bei Frauke Petry aus, die 2013 Privatinsolvenz anmelden musste. Zu ihrem Glück gelte in der AfD „die Regel, dass die Kreisverbände Auftritte der Bundesvorstände finanzieren“, erklärt Amann. So habe sich Petry vor ihrer Wahl in den sächsischen Landtag finanziell über Wasser gehalten. Die AfD-Chefin interessiere sich nur wenig für Inhalte, stellt Amann heraus. Sie verfolge eher persönliche Interessen. Dadurch gebe es in der AfD ein „programmatisches Vakuum, das Ideologen nach Lust und Laune füllen können“.
Angst als Wahlkampfhelfer
Die Ideologen in der AfD – zum Beispiel der Rechtsaußen Björn Höcke – befänden sich in einem ständigen Kampf mit den Karrieristen in der Partei, analysiert Amann. Die einen verstünden die AfD als eine Art gesellschaftliche Bewegung, den anderen – zum Beispiel Parteichefin Petry – diene die Politik nur dem eigenen Fortkommen. Dem Buch nach zu urteilen scheinen allerdings beide Gruppen von ein und derselben Sache getrieben zu sein: der Angst. Die Karrieristen haben Angst um ihre Posten, die Ideologen fürchten den Untergang des Abendlandes. Passend dazu setzt die AfD auf die Angst in der Bevölkerung, um Wähler zu mobilisieren. Dies sei für „die Partei ein leichtes Unterfangen, da die Deutschen schon immer Angsthasen waren“, wie Amann betont. Angst als Wahlkampfhelfer für die Rechtspopulisten.
Melanie Amanns Buch ist spannend geschrieben und hervorragend recherchiert. Ihr gelingt eine scharfe Nahaufnahme der AfD. Vor allem die Akteure in der Partei beschreibt sie so gut, dass der Leser sich für Leute wie Petry oder Pretzell beinah fremdschämt. Das Buch behandelt aber nicht nur die Personen in der AfD, sondern spricht auch das gesellschaftliche Klima an, in dem die Partei heranwachsen konnte. Die Autorin blickt außerdem in die Zukunft und bietet Strategien gegen die AfD an. Diese könnten helfen, die Rechtspopulisten dahin zurückzuschicken, wo sie hingehören – ins politische Abseits.
Melanie Amann: Angst für Deutschland. Die Wahrheit über die AfD: wo sie herkommt, wer sie führt, wohin sie steuert, 319 Seiten, Droemer Knaur, ISBN 978-3-426-27723-2, 16,99 Euro.