Grundrechte in der Corona-Krise

71 Jahre Grundgesetz: Solidarisches Handeln ist die Basis unseres Sozialstaates

Verena Bentele23. Mai 2020
Nachbarschaftshilfe in der Corona-Krise: Gelebte Solidarität ist das maßgebliche Erfolgsrezept.
Nachbarschaftshilfe in der Corona-Krise: Gelebte Solidarität ist das maßgebliche Erfolgsrezept.
Vor 71 Jahren, am 23. Mai 1949, wurde das Grundgesetz verkündet. Gerade in der Corona-Krise lohnt die Rückbesinnung auf die Grundrechte und die Werte, die in unserer Verfassung festgelegt sind,

Freiheit, Vernunft und Verantwortung sind insbesondere in der anhaltenden Krise unmittelbar miteinander verbunden und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wer in einer Gesellschaft persönliche Freiheit als hohes Gut einfordert, der muss gewährleisten, dass er auch Verantwortung übernimmt für die Freiheit, Würde und Grundrechte seiner Mitmenschen. Und vor allen Dingen heißt Verantwortung, sich auch für die Gesellschaft einzusetzen, für den Nachbarn, für Kinder und Ältere, für Schwache und für ein funktionierendes Gemeinwesen.

Viele sind wegen des Corona-Virus' verunsichert

Es ist nachvollziehbar, dass Menschen in einer Krise reale und diffuse Ängste entwickeln – Ängste vor tatsächlichen Gefahren, vor den möglichen gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Folgen, die sich für viele existenzbedrohend auswirken können. Diffuse Ängste, weil Prognosen für die Zukunft schwieriger werden und sowohl das Ende als auch die Folgen dieser Situation nicht absehbar sind. Verunsichert sind viele Menschen, weil die Bedrohung – ein Virus – weder sichtbar noch greifbar ist und daher bislang niemand zu sagen vermag, wie diese Bedrohung entstanden ist und wie sie bekämpft werden kann.

Grundlage, um Schritt für Schritt die Krise aufzulösen, sind eine Analyse auf Basis von Fakten und sich daraus ergebende Handlungsspielräume. Lösungen werden blockiert, wenn Unsicherheit und Angst auf vermeintlich Schuldige projiziert werden und dies mit nicht wirklich geprüften oder nachweisbaren Argumenten belegt wird.

Es wird zu massiven Verteilungskämpfen kommen

Wir stehen vor einer Wirtschaftskrise, bei der es zu massiven Verteilungskämpfen kommen wird. Hier gibt es reale Interessensgegensätze, die aufeinanderprallen. Solidarität bedeutet, die Ressourcen – finanzielle Mittel, medizinische Versorgung, Bildung etc. – gerecht zu verteilen. Die Verteilung kann nicht danach erfolgen, wer seine Interessen aufgrund wirtschaftlicher Macht und politischem Einfluss am nachdrücklichsten einfordert.

Die COVID-19-Pandemie hat uns allen auch vor Augen geführt, welche Berufsgruppen für unser Leben von existenzieller Bedeutung sind. Für diese Menschen müssen wir uns einsetzen, für die Krankenschwestern, Postzusteller, Polizisten, Pflegekräfte, Kassiererinnen, Alleinerziehende, kleine Betriebe und Selbstständige. Sie leisten viel, haben aber oft keine großen finanziellen Ressourcen. An ihren realen Bedürfnissen muss sich die Diskussion ausrichten.

Es gibt in diesen Zeiten auch ein paar, die laut schreien: ‚Rette sich, wer kann – Jeder gegen Jeden – Wir gegen die Anderen‘ – Solche Haltungen spalten die Gesellschaft. Zusammenhalt, Gemeinschaft, Kooperation und Solidarität stärken unser Land. Solidarisches Handeln ist die Basis unseres Sozialstaates. Gelebte Solidarität ist angesichts der Krise das maßgebliche Erfolgsrezept. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben uns Stabilität, aber auch einen Auftrag gegeben: zum Wohl der Gemeinschaft Freiheit und Würde zu achten und den Sozialstaat zu verwirklichen.

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Kommentare

Freiheit ist mein Recht!

"Wer in einer Gesellschaft persönliche Freiheit als hohes Gut einfordert, der muss gewährleisten, dass er auch Verantwortung übernimmt für die Freiheit, Würde und Grundrechte seiner Mitmenschen. Und vor allen Dingen heißt Verantwortung, sich auch für die Gesellschaft einzusetzen, für den Nachbarn, für Kinder und Ältere, für Schwache und für ein funktionierendes Gemeinwesen." Freiheit ist für mich wichtig, aber kein „hohes Gut“. Sie sollte in einer Demokratie ein selbstverständliches, nicht mit Forderungen verknüpftes Recht sein. Wer legt eigentlich fest, dass ich dafür Verantwortung für die Würde und Grundrechte meiner Mitmenschen übernehmen muss? Die SPD? Solche Formulierungen erinnern mich an die Mitwirkungsforderungen in der Deutschen Demokratischen Republik. Mit solchen "Müssen- Reden" wurden wir zur Mitarbeit im Wohngebietsausschuss der Nationalen Front, zum Subbotnik im VEB und für die Deutsch- Sowjetische- Freundschaft animiert.

Freiheit hat auch Grenzen

Natürlich kann ein Grundrecht wie das Recht auf Freiheit mit Verantwortung verknüpft sein. Das Grundgesetz spielt darauf sogar an, wenn es im Artikel 2 heißt, dass jeder das Recht auf freie Entfaltung hat, diese aber ihre Grenzen dort hat, wo dadurch andere Menschen in ihren Rechten verletzt werden. Das heißt also auch, dass jeder Mensch die Verantwortung hat, mit den ihm zugesprochenen Rechten verantwortungsvoll umzugehen. Das kann vom Gesetzgeber auch eingefordert werden, dass man z.B. eben nicht auf Kosten anderer lebt. Deswegen umgekehrt daran zu appellieren, dass man auch innerhalb einer Gesellschaft Verantwortung für andere übernehmen darf und sollte, andere also darin unterstützt, beispielsweise ihre Grundrechte wahrzunehmen, ist aus unserer Sicht da nicht weit hergeholt, sondern nur folgerichtig.
Der Vergleich mit der DDR geht uns da zu weit - das ist ein Artikel, keine Regierungsansprache. ;-)

Beste Grüße aus der Redaktion

Die Redaktion, die Redaktion,

Die Redaktion, die Redaktion, die hat immer recht. Ich habe nicht geschrieben, dass die Freiheit grenzenlos sein soll und werde mit meiner Freiheit auch verantwortungsvoll umgehen. Auch habe ich nicht dagegen plädiert, dass man Verantwortung für Andere übernehmen darf. Ich wollte nur nicht das Recht auf Freiheit mit einer Verpflichtung verknüpft sehen, zum Beispiel mich für die Gesellschaft, für das Gemeinwesen einzusetzen zu müssen. Ob ich dies tue, ist meine Entscheidung. Ihr Artikel impliziert, dass, wenn ich dies nicht tue, mein Recht auf Freiheit vakant sein könnte?

Freiheit bedeutet auch Verantwortung

So, wie oben bereits geschrieben. So haben wir unsere Gastautorin verstanden. Wer Freiheit einfordert, muss damit verantwortungsvoll umgehen und gerade in Zeiten der Krise bedeutet verantwortungsvolles Handeln auch solidarisches Handeln. Sonst funktioniert unser Gemeinwesen nicht, auf das wir uns als Gesellschaft verständigt haben. Das fordert Verena Bentele ein.
Wer z.B. auf Kosten der Freiheit anderer sich rausnimmt in dieser Zeit jegliche Corona-Regeln zu missachten, kann sich vielleicht auf seine persönliche Freiheit berufen, geht aber nicht verantwortungsvoll damit um - und das wird am Ende des Tages auch sanktioniert. Sich selber zu beschränken kann auch ein Einsatz für das Gemeinwesen sein.
Wenn diese Erklärung sie immernoch nicht zufrieden stellt, können wir glaube ich auch nicht mehr weiterhelfen...

Seit wann hält sich die Politik ans GG ?

Im Vergleich zu Schweden, wo alle möglichen Anstrengungen unternommen werden und wurden um Eingriffe in die Grundrechte möglichst gering zu halten, wo sogar kreative Lösungen gesucht wurden um die Bürger ohne Grundrechtsentzug zu "lenken" (Hühnermist in den Park statt Ordnungsamts/Polizeipatrouillen) scheint mir die Bundesregierung die Bürgerrechte nicht allzu hoch zu werten.

Betrachtet man dazu noch, wie viele Gesetze und Verordnungen durch das Bundesverfassungsgericht "nachkorrigiert" werden mußten und müssen und wie lang der ebenfalls vom BVerfG gerügte unsäglich aufgeblähte Bundestag seine Korrekturen verschläft dann sehe ich eher solches Fehlverhalten der Politik als begründeten Ansatz für Zweifel und Ängste.

Das GG soll theoretisch alle politische Gewalt binden. Bedauerlicherweise scheinen sich Politiker nicht einmal mit den ersten 20 Artikeln auszukennen, anders kann z. B. der unwidersprochene Ausruf der Korruption ("marktkonforme Demokratie") zur Staatsform durch die Kanzlerin kaum erklärt werden.

Auch gibt es keine erkennbare "Solidarität" wenn die Kapitaleigner und ihre "Rettungen" im Verhältnis zum Normalbürger und seinen Einschränkungen betrachtet werden.

Aufgabe der Politik

Aufgabe der Politik ist es, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Und das gelingt ihr in der Coronakrise aus meiner Sicht ausgesprochen gut – besonders im Vergleich zum viel gepriesenen Schweden, wo die Sterberate deutlich höher liegt als bei uns. Oder würden Sie das auch in Deutschland gerne in Kauf nehmen, wenn Sie dafür Ihren Cappucino ungestört im Café schlürfen dürften?

Vorsicht mit offiziellen Zahlenwerken.

Dieser Kommentar wurde gelöscht, weil er gegen Punkt 4 und 6 der Netiquette verstößt.

Da Fakten hier nicht erwünscht sind

Verweise ich allein dauf den Konzeptfehler den Herr Tegnell von Anfang an kommunizierte.
Was wollen die Lockdown-Länder tun, wenn die zweite, dritte, xte Welle kommt ? Alle halbe Jahr Grundrechtsentzug und Zwangsquarantäne ausrufen bzw. verlängern ? Die tatsächliche Todeszahl der jeweiligen politisch gewollten Wege zeigt sich erst dann wenn die letzte "Welle" durch ist.

Ihre Eristik ignoriere ich mal, es geht mir um Grundrechte die undefiniert lang ausgesetzt werden und nicht um irgendwelche Heißgetränke.

Franz Josef Degenhardt

"Grundgesetz, ja Grundgesetz, ja Grundgesetz, Sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz, Sagen Sie: Sind sie eigentlich Kommunist?" Treffend hat das der alte Barde formuliert, damals als das Grundgesetz durch die Kapitalkonforme fdgo (freiheitlich demokratische Grundordnung) ausgehebelt wurde.

GG nur dann wenns nicht zu unbequem wird ?

Man fragt sich wirklich warum der angebliche Respekt vor dem GG von der Politik nicht aktiv gelebt sondern zu oft nur gelabert (und manchmal nicht mal das) wird.
/sarkasmus ein:
Vielleicht sollte der "neoliberale Flügel" des Bundestages endlich mal unter Beobachtung gestellt werden.