vorwärts.de: Sind wir im gegenwärtigen Abschwung auf der Talsohle angelangt oder ist ein weiteres Abrutschen zu befürchten?
Bofinger: Soweit die deutsche Industrie durch den Einbruch ihrer Auslandsaufträge betroffen ist, kann man jetzt bereits eine Bodenbildung erkennen. Doch muss man befürchten, dass
sich die angekündigten Sparmaßnahmen der Industrie in Wellenbewegungen durch die gesamte Wirtschaft fortpflanzen und schließlich auch den Konsum beeinträchtigen. Noch bedenklicher aber ist es,
dass uns 2010 und darüber hinaus ein langjähriger wirtschaftlicher Stillstand ins Haus stehen könnte, wie ihn nicht wenige wie beispielsweise der IWF befürchten.
Wie sollte oder könnte man einem solchen wirtschaftlichen Stillstand entgegenwirken? Ist ein neues, ein drittes Konjunkturpaket angesagt?
Nein, das würde ich zur Zeit nicht empfehlen, jedenfalls solange nicht, wie sich meine Erwartung bewahrheitet, dass die Abwärtsbewegung im Laufe des zweiten Halbjahres ausklingt. Dagegen
trete ich für ein langfristiges Wachstumsprogramm ein, mit dem man fünf Jahre lang jeweils 35 Milliarden Euro in Bildung, Forschung, Infrastruktur und die Ökologie steckt.
Das ist sehr viel Geld und es besteht die Gefahr, dass sich unser Staat damit einen zu großen Schuldenklotz ans Bein hängt.
Es braucht dazu in der Tat einen gewissen politischen Mut, und am Ende könnte die öffentliche Verschuldung auf etwa 80 Prozent des Sozialproduktes geklettert sein. Aber wollen wir wirklich
noch einmal vier Jahre Stagnation riskieren, wie wir sie zwischen dem ersten Quartal 2001 und dem letzten Quartal 2004 gehabt haben, mit stark steigenden Arbeitslosenzahlen und großen Problemen
für den Staatshaushalt und die Sozialkassen? Das ist doch eine Entwicklung, auf die wir es nicht noch einmal ankommen lassen sollten.
Notenbank ohne Voraussicht
Die EZB hat den Notenbankzins auf ein Prozent gesenkt. Reicht das und kommt das nicht alles recht spät?
Auf was wartet die EZB eigentlich noch, um ihren Spielraum voll auszuschöpfen und ihren Zins auf Null zu senken, wie es andere Notenbanken längst getan haben! Seit dem Ausbruch der Krise
ist die europäische Zentralbank immer nur zögerlich den Ereignissen hinterhergehinkt. Wozu ist eigentlich ihre große Analyse- und Forschungsabteilung gut, wenn die Bank so wenig vorausschauend
handelt. Jede Großmutter hätte es nicht schlechter, sondern wahrscheinlich besser gemacht.
Stimmt die Absicht der EZB, Anleihen im Umfang von 60 Milliarden Euro anzukaufen, Sie in Ihrem Urteil etwas milder?
Auf die gesamte EU bezogen ist dies nicht so furchtbar viel, mir wäre es lieber, die Notenbank ginge mit ihrem Zins richtig herunter.
Die Bundesregierung ist stark darauf fixiert, die Banken - koste es, was es wolle - von ihren alten Lasten, den toxischen Papieren, zu befreien. Ist sie damit auf dem richtigen
Wege.
Für die Verluste der in öffentlichem Besitz stehenden Landesbanken aus Geschäften mit faul gewordenen Papieren muss der Steuerzahler so oder so aufkommen. Wankende private Banken würde ich
dagegen eher, wie es US-Ökonom Paul Krugman für Amerika vorschlägt, verstaatlichen. Der Steuerzahler würde sich damit nicht nur einseitig die Risiken der Banken aufladen, sondern auch an späteren
möglichen Gewinnen derselben teilhaben.
Finanzabenteurer noch ungezügelt
Die Politik geht bisher nur recht zögerlich und zaghaft daran, die Exzesse der Finanzwirtschaft zu unterbinden, die uns in diese fürchterliche Krise gestürzt haben.
Das in der Tat verwunderlich und ein großes Versäumnis. Denn der Kladderadatsch der Finanzbranche ist doch in der Tat von der Wucht des Ereignisses her durchaus mit dem Einsturz des World
Trade Center vergleichbar. Demgegenüber nimmt sich die Korrekturliste der G 20 doch eher wie ein kleinteiliges Drehen an kleinen Schräubchen aus.
Wie könnte man denn dem Kern des Übels beikommen?
Man sollte ein weltweites Kreditregister einrichten, das alle relevanten Finanzbeziehungen der Banken erfasst. Man sollte eine europäische staatliche Rating-Agentur schaffen, die als eine
Art Finanz-TÜV alle von Banken gehandelten Papiere prüft, zulässt oder verbietet. Und schließlich wäre zu überlegen, ob man die Finanzbeziehungen der Banken untereinander so entflechten kann,
dass der Zusammenbruch eines Institutes kein systemisches Risiko mehr darstellt und andere nicht mit in den Abgrund zieht. Die Kundeneinlagen sind ja auch heute schon gesichert.
Angstgespenst Große Depression
Bei alledem, was gerade passiert, erinnert man sich doch immer wieder an die Große Depression der dreißiger Jahre und fürchtet eine Wiederholung der damaligen Ereignisse. Sie
auch?
Bofinger: Was wir gerade erleben, liegt außerhalb dessen, was sich in den letzten 60, 70 Jahren ereignet hat. Es ist der Ausnahmefall des "Schwarzen Schwans". Wir haben aber aus den
Ereignissen der 30er Jahre gelernt. Geld- und Finanzpolitik bewegen sich in die richtige und nicht in die falsche Richtung wie seinerzeit. Der starke Rückgang der Ölpreise stützt den Konsum. Das
alles macht Hoffnung, dass wir nicht weiter in eine Abwärtsspirale hineingleiten. Doch bewegen wir uns auf ungewohntem Terrain und das mahnt uns zur Vorsicht.
Peter Bofinger lehrt Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Er ist Mitglied im
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Das Interview mit Peter Bofinger führte Dietrich Jörn Weder. Am kommenden Freitag veröffentlicht Peter Bofinger sein neues Buch mit dem Titel "Ist der Markt noch zu retten?". Eine
Buchbesprechung finden Sie dann
vorwärts.de.