Arbeit

12 Euro Mindestlohn: Nur ein Land in Europa noch vor Deutschland

Vera Rosigkeit23. Februar 2022
Ab dem 1. Oktober 2022 beträgt der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland 12 Euro die Stunde
Als Vorbild beim gesetzlichen Mindestlohn galt Deutschland in Europa bislang nicht. Doch das wird sich ändern, wenn der Mindestlohn im Oktober wie beschlossen auf 12 Euro die Stunde steigt. Die Spitze in Europa verteidigt aber ein anderes Land.

Den Gesetzentwurf zur Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro ab dem 1. Oktober 2022 hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil bereits im Januar auf den Weg gebracht und damit eines der zentralen Wahlversprechen der SPD im Bundestagswahlkampf umgesetzt. Am Mittwoch hat das Bundeskabinett die Anhebung nun beschlossen.

Nur Mindestlohn in Luxemburg höher

Aktuell liegt der Mindestlohn bei 9,82 Euro die Stunde. Laut Statistischem Bundesamt entspricht das einem Monatslohn von 1.621 Euro brutto bei einer Vollzeitstelle. Damit belegt Deutschland im Vergleich mit anderen westeuropäischen EU-Ländern den sechsten und damit letzten Platz. So liegen die Mindestlöhne in den Niederlanden (10,58 Euro), in Frankreich (10,57 Euro), Irland (10,50 Euro) und in Belgien (10,25 Euro) derzeit deutlich höher. Die beschlossene Einführung eines Mindestlohns von 12 Euro zum 1. Oktober 2022 wird das ändern. Denn damit wird Deutschland „vom bisherigen Nachzügler in der Mindestlohnpolitik zu einem Vorreiter“ avancieren, schreiben Malte Lübker und Thorsten Schulten in einem Mindestlohnbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Innerhalb der Europäischen Union liege die Bundesrepublik damit an zweiter Stelle direkt nach Luxemburg, wo der Mindestlohn aktuell bei 13,05 Euro liegt, was einem montalichen Bruttolohn von 2.257 Euro entspricht.

60 Prozent des Medianlohns als Schwellenwert

Die Autoren verzeichnen insgesamt einen Aufbruch sowohl in der deutschen als auch in der europäischen Mindestlohnpolitik, die sich stärker als bisher am Ziel eines angemessenen Lohnniveaus orientiert. Danach gilt als Richtwert für ein angemessenes Mindestlohnniveau eine Schwelle von ungefähr 60 Prozent des Medianlohns, die Deutschland mit einem Mindestlohn von 12 Euro erreicht, (mit dem aktuellen Mindestlohn von 9.62 Euro wird gegenwärtig nur 48 Prozent des durchschnittlichen Bruttoverdienstes erreicht).

Auch die Europäische Kommission bezieht sich in ihrem Entwurf für eine Europäische Mindestlohnrichtlinie, die mit einiger Wahrscheinlichkeit in diesem Jahr verabschiedet wird, auf dieses Kriterium, erklären die WSI-Experten. Dagegen hatte das Europäische Parlament im vergangenen November mit großer Mehrheit einen eigenen Richtlinienvorschlag verabschiedet, der in Teilen noch einmal deutlich über den Kommissionsvorschlag hinausgehe, so die Forscher.

Lübker und Schulten regen an, die Schwelle von 60 Prozent des Medianlohns auch in Zukunft als Kriterium für künftige Anpassungen des Mindestlohns gesetzlich zu verankern. „Dieser Schritt würde das Mandat der Mindestlohnkommission stärken und ihren Handlungsspielraum für die Zukunft erweitern“, erklären sie ihren Vorschlag. „Dies würde verdeutlichen, dass es der Bundesregierung um die nachhaltige Etablierung eines angemessenen Mindestlohnniveaus geht.“

Nur Tarifbindung besser

Insgesamt haben 18 EU-Staaten ihre Mindestlöhne zum 1. Januar 2022 erhöht, Bulgarien wird zum 1. April nachziehen, ebenso wie das Ex-Mitglied Großbritannien. Während in den westeuropäischen EU-Nachbarländern die Bandbreite im Mindestlohn bei aktuell 10,25 Euro in Belgien und 13,05 Euro in Luxemburg liegt, reicht sie in den südeuropäischen EU-Staaten von 3,83 Euro in Griechenland bis 6,06 Euro in Spanien. In den mittel- und osteuropäischen Staaten sind die Mindestlöhne mehrheitlich niedriger.

Dass Österreich, die nordischen Länder und Italien keinen Mindestlohn haben, erklären Lübker und Schulten damit, dass in diesen Ländern eine sehr hohe Tarifbindung bestehe, die auch vom Staat stark unterstützt werde. Die Tarifverträge zögen dort eine allgemeine Untergrenze ein, der Niedriglohnsektor in diesen Ländern sei damit deutlich kleiner als beispielsweise in Deutschland.

Außerhalb der EU haben aktuell Australien mit umgerechnet 12,91 Euro und Neuseeland (11,96 Euro) ein ähnliches Niveau. In Großbritannien wird der Mindestlohn im April diesen Jahres auf umgerechnet 11,05 Euro angehoben.

 

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