SPD will künftig 60 Milliarden Euro pro Jahr investieren
picture alliance / dpa
Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer.“ Die Worte Willy Brandts gelten ohne Frage auch für die Wirtschaftspolitik. Der SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel formuliert es so: „Wenn wir auch in den kommenden Jahren noch gut und sicher leben wollen, müssen wir heute Reformen anpacken und den enormen Modernisierungsstau in unserem Land beheben.“ Diesen Stau sieht er besonders bei der Infrastruktur, der Digitalisierung sowie den Investitionen in Bildung und Forschung.
60 Milliarden Euro für den Modernisierungspakt
Deshalb forderte Gabriel auf der Klausur der SPD-Spitze in Nauen „dringend einen neuen Anlauf für die Modernisierung unserer Volkswirtschaft“. Die gute wirtschaftliche Lage in Deutschland komme „nicht automatisch“. Nötig seien mehr Einsatz für Wettbewerbsfähigkeit und die Sicherung von Arbeitsplätzen.
Dazu hat der SPD-Parteivorstand einen „Modernisierungspakt für Deutschland“ beschlossen. Er wurde maßgeblich von Sigmar Gabriel und dem baden-württembergischen Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid konzipiert. Die zentrale Botschaft: „Deutschland braucht in den kommenden zehn Jahren einen Modernisierungspakt mit zusätzlichen privaten und öffentlichen Investitionen von rund 60 Milliarden Euro jährlich, um seine Wettbewerbsfähigkeit, seine wirtschaftliche Kraft, seine soziale Sicherheit und seine ökologische Nachhaltigkeit zu erhalten und auszubauen.“
Gabriel mahnt zur Vorsicht
Wie notwendig die Forderungen der SPD sind, zeigte die jüngste Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichtes. Gabriel hatte die Wachstumsprognose für 2016 um 0,1 Prozent auf 1,7 Prozent gesenkt. „Mein Sorge ist: Wir sind uns zu sicher, dass alles weiter so gut läuft“, warnte er. Angesichts niedriger Ölpreise und niedriger Zinsen dürfe die aktuelle Prognose „für eine Exportnation wie Deutschland nicht als überschäumend gut bezeichnet werden“. Vor diesem Hintergrund „sollten wir nachdenklich sein“, mahnte der Wirtschaftsminister. „Es geht uns gut, aber damit das so bleibt, müssen wir investieren.“
Die SPD macht dazu im Modernisierungspakt konkrete Vorschläge. Sie fordert, die gesamtstaatlichen Forschungsausgaben von derzeit knapp drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes bis 2025 auf vier Prozent zu erhöhen. Mit einer „Kaufprämie für Elektroautos“ und einer „Steuergutschrift“ für Forschungs- und Entwicklungsausgaben kleinerer und mittlerer Unternehmen sollen weitere Investitionen mobilisiert werden. Mit einem neuen „Bürokratieabbaugesetz“ will die SPD die Wirtschaft entlasten.
45.000 Stellen für Lehrer und Erzieher
In der Bildungspolitik werden „eine bessere Koordinierung“ und die Aufhebung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern verlangt. „Der bildungspolitische Flickenteppich tut unserem Land nicht gut“, heißt es im Vorstandsbeschluss.
Die SPD will 20.000 neue Stellen für Kita-Erzieher und 25.000 neue Lehrer-Stellen schaffen. „Durch den Zuzug von rund einer Million Flüchtlingen im Jahr 2015 wächst der Bedarf an Kita- und Schulplätzen mit Sprachförderung und Ganztagsangeboten“, so die Begründung. „Schätzungsweise werden mehr als 300.000 zusätzliche Kinder in Deutschland schulpflichtig sein. Rund 140.000 Kinder im Vorschulalter werden zu fördern sein.“
Industrie fordert „Politik für Investitionen“
Weiter soll eine „zukunftsfähige Glasfaser-Strategie“ entwickelt und umgesetzt werden. Dazu sollen in den nächsten zehn Jahren 100 Milliarden Euro vor allem aus privaten aber auch öffentlichen Mitteln in ein Gigabitnetz investiert werden.
Mehr Investitionen fordert auch Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Er warnt, „die Investitionsschwäche bleibt die große Achillesferse Deutschlands“. Dem schließt sich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) an. „Wir erwarten von der Bundesregierung eine Politik für mehr öffentliche und private Investitionen“, so BDI-Präsident Markus Kerber.
Innovationen versus „schwarze Null“
Doch werden diese Mahnungen auch im Bundesfinanzministerium gehört? Bisher hat sich Wolfgang Schäuble vor allem auf die „schwarze Null“ im Bundeshaushalt fokussiert. „Die schwarze Null darf nicht zu Lasten wichtiger Innovationen gehalten werden“, warnt Wirtschaftsminister Gabriel.
Deshalb will die SPD bei der Finanzierung ihres Modernisierungspaktes auch „keine ideologischen Tabus“ mehr akzeptieren: „Weder dürfen wir die Erschließung privatwirtschaftlicher Finanzierungsquellen für eine öffentlich-private Investitionspartnerschaft zum Tabu erheben noch die Finanzierung von langfristigen Investitionsvorhaben durch öffentliche Kreditaufnahme“, heißt es im Beschluss des Parteivorstandes.
Lob von Expertenseite
Zustimmung kommt dafür von Expertenseite. Sebastian Dullien, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, nennt es gegenüber vorwärts.de „höchst erfreulich“, dass die SPD eine höhere Neuverschuldung nicht länger ausschließe. „Dass sich der Staat bei negativen Zinsen ein Schuldenverbot auch zur Finanzierung öffentlicher Zukunftsinvestitionen auferlegt – wie das durch die Fokussierung einiger Politiker auf die ‚schwarze Null im Bundeshaushalt passiert – ist ökonomischer Irrsinn.“
Nico Lumma, der Co-Vorsitzende von „D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt“, bezeichnet die angekündigten Investitionen in ein modernes Glasfasernetz gegenüber vorwärts.de als „alternativlos“. Er betont: „Wir benötigen diese Infrastruktur, damit auch künftig unsere Wirtschaft wächst. Bei aller Haushaltsdisziplin sollten wir stets die Zukunft unserer Kinder im Blick haben und die können wir nur sichern, wenn wir jetzt endlich die Grundlage legen.“ Ein flächendeckendes Glasfasernetz in Deutschland bedeute „eine Verbreiterung der Teilhabe für die Menschen in unserem Land“.