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Polen: Wie die gesellschaftliche Stimmung sich verändert hat

Eine junge Polin reist in ihre Heimat zurück – und findet sich in einem Land wieder, welches sich politisiert hat und mit trockenem Humor gegen die national-konservative Politik der neuen Regierung protestiert.
von Karolina Golimowska · 13. Januar 2016

Am 25. Oktober 2015 gewann die nationalkonservative Partei Prawo i Sprawiedliwość – PiS („Recht und Gerechtigkeit“) mit absoluter Mehrheit die Parlamentswahlen in Polen. Und sie machte sich schnell daran, das Land nach ihren Vorstellungen umzubauen. In Polen spricht man schon von einer „Demokratur“. Neue Gesetze entmachteten das Verfassungsgericht und stellten die staatlichen Medien unter die Kontrolle der Regierung.

Acht Jahre lang Ruhe in Polen

„Wie ist es dazu gekommen? Warum habt ihr die denn gewählt?“, fragen mich viele in Deutschland. Lange dachte ich, ich würde keine PiS-Wähler persönlich kennen. Vielleicht ist es aber eher so, dass viele Leute jetzt nicht mehr zugeben möchten, die Partei gewählt zu haben. Was man erwähnen sollte: Der Diskurs der PiS während des Wahlkampfs war wesentlich milder als der Ton, der jetzt angeschlagen wird. Viele der drastischen und verfassungswidrigen Maßnahmen, die nach der Wahl eingeführt werden, waren zuvor nicht Thema. Laut aktuellen Umfragen sank die Popularität der PiS in der kurzen Zeit seit den Wahlen bereits deutlich.

Schwer zu sagen, wie es dazu kommen konnte, wo genau es anfing. Acht Jahre lang herrschte in Polen Ruhe. Die Partei Platforma Obywatelska – PO („die Bürgerplattform“) regierte in einer Koalition mit der Bauernpartei PSL stabil. Der damalige Premierminister Donald Tusk führte eine offene und EU-orientierte Politik. Etwas faul wurden die Politiker vielleicht, etwas zu sicher, zu ungenau. Und dann die Abhöraffäre, nach der einige Minister von Kabinettchef Tusk entlassen wurden, die die Partei schwächte.

Unpolitisch sein ist nicht mehr möglich

In Polen ist es nicht mehr möglich, unpolitisch zu sein – was angesichts der niedrigen Beteiligung bei der letzten Wahl vielleicht nicht das Schlechteste ist. Beinahe alles wird politisch und oft zugleich sehr persönlich. Freundschaften werden gekündigt (und das nicht nur auf Facebook), Familienmitglieder reden nicht mehr miteinander.

Als ich Weihnachten aus Deutschland nach Polen reise, sitzt in meinem Abteil im Zug Berlin-Warszawa-Express ein relativ junges Paar mit seinem kleinen Kind. Er ist Bauarbeiter, lebt seit zwölf Jahren in Berlin. Sie kommt „aus den Bergen“ und verniedlicht alle Substantive. Er kann die PiS nicht leiden, sie hat sie gewählt. Sie streiten so sehr, dass das Kind zu weinen anfängt und ich das Abteil verlassen muss. Einer der letzten Dialogfetzen, die ich mitbekomme, geht so:

Er: „Jetzt werden sie überall nur noch Kirchen bauen, als gäbe es nicht genug davon, und das von Steuergeldern!“

Sie: „Was sollen sie denn sonst bauen? Moscheen?“   

Angst vor einer großen Migrationswelle

Die Flüchtlingspolitik war eines der Themen, mit denen die PiS während der Wahlkampagne in Polen gepunktet hat. Ein Argument war, Muslime könnten eine Gefahr für den polnischen Katholizismus darstellen. Warum hat man solche Angst vor Asylsuchenden aus dem Mittleren Osten? 

Man sollte vielleicht in der gesellschaftlich-politischen Geschichte des Landes nach Gründen suchen. Vor dem Zweiten Weltkrieg war Polen eine heterogene Gesellschaft: Polen, Deutsche, Juden, Russen lebten dort gemeinsam und friedlich. Der Krieg und die folgende harte sowjetische Ostblock-Politik veränderten dann alles. Mehrere Generationen von Polen sind hinter dem Eisernen Vorhang, in einer ethnisch, religiös und kulturell sehr homogenen Realität, groß geworden. Oft wissen sie einfach nicht, wie man mit dem „Anderen“ umgeht. Vor diesem Hintergrund ist die Angst vor einer großen Immigrationswelle vielleicht etwas besser nachvollziehbar.

Die Kultur: gefesselt und geknebelt in der Ecke

Derweil blüht die politische Satire in allen Formen: Witze, Zeichnungen, politisches Kabarett. Schon während der Präsidentschaftswahlen fing man an, mit dem Namen „Duda“ zu spielen. Nach dem Sieg bei den Parlamentswahlen zirkulierten Witze über Ministerpräsidentin Beata Szydło, deren Nachname auf Polnisch idiomatisch sehr tragend ist. Bei der Premiere der Weihnachtsausgabe des politischen Kabaretts „Pożar w burdelu“ („Bordel Artistique“) ist das Theater überfüllt: „Wer ist denn diese Dame, die da so gefesselt und geknebelt in der Ecke sitzt?“ „Ah, die da, das ist die Kultur!“

Vor meiner Reise von Berlin nach Warschau frage ich eine gute Freundin aus Warschau, ob ich ihr etwas aus Berlin mitbringen könne. „Eine kleine syrische Familie vielleicht“, sagt sie. Ich antworte, dass die Flüchtlinge in der Regel nicht nach Polen wollen, weil sie wissen, dass sie dort nicht willkommen sind. Meine Freundin antwortet, dass es ihr ähnlich geht. Wenn sie die Wahl hätte, würde sie auch nicht nach Polen gehen.

We shall overcome

Der trockene polnische Humor ist da. Und die Empörung über die gesamte Situation ist da. Beides generiert Kraft und Solidarität. Die Demonstrationen, an denen Tausende Polen teilnehmen, sind dafür der Beweis. In diesem Sinne: We shall overcome. Wir schaffen es. Gebt uns Zeit. 

Autor*in
Karolina Golimowska
Karolina Golimowska

ist Literaturwissenschaftlerin, Übersetzerin und Autorin von Kurzprosa und journalistischen Texten. 2014 wurde sie mit dem Deutsch-Polnischen Journalistenpreis ausgezeichnet.

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