Inland

Jutta Limbach: „Frauen nicht bei ihren kurzfristigen Interessen bedienen“

Sie war die erste Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Die SPD-Mitgliedschaft ist bei ihr Familientradition. Jetzt hat Jutta Limbach ein Buch über ihre Urgroßmutter, die Gewerkschaftspionierin Pauline Staegemann geschrieben. Ein Gespräch über Frauen gestern und heute
von Renate Faerber-Husemann · 30. Juni 2016
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Wenn wir das Leben Ihrer Urgroßmutter Pauline Stegemann mit dem heutigen vergleichen: Ist das Glas für die Frauen des 20. und des 21. Jahrhunderts halbvoll oder voll?

Im  Gegensatz zu meiner Urgroßmutter konnte meine Großmutter wählen und gewählt werden. Sie war Mitglied der Weimarer Nationalversammlung, des Reichstags und später des Preußischen Landtags. Im Gegensatz zu unserer Großmutter konnten meine Schwester und ich studieren, Professorin, Senatorin, Rechtsanwältin oder Richterin, gar Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts werden. Außerdem konnten wir beide berufstätig sein, ohne fürchten zu müssen, dass unsere Ehemänner unsere Dienst- und Amtsverhältnisse fristlos kündigen könnten. Unsere Töchter und Schwiegertöchter können im Gegensatz zu uns ihre Mädchennamen beibehalten und mit ihren Männern Erziehungsurlaub nehmen. Unsere Enkeltöchter können auf die gesetzlich regulierte Frauenförderung – etwa auf die Quote – rechnen und hoffen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorankommt.

Es gibt ein relativ neues Phänomen: Frauen aus aller Welt putzen – häufig illegal – unsere Wohnungen, schicken Geld nach Hause und sehen ihre Kinder nicht aufwachsen. Was früher die Dienstmädchen vom Land waren, die in den Städten ausgebeutet wurden, sind heute diese Frauen aus aller Welt. Gibt es Wege, ihnen zu helfen?
 
Zum Glück kümmert sich die Internationale Arbeitsorganisation darum. Sie hat Empfehlungen erlassen, die auf eine menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte fokussiert sind. Aber das reicht natürlich nicht, denn das ist weiches Völkerrecht und muss erst durchghesetzt werden. Gerade die besser gestellten Frauen, die arbeiten können, weil diese Frauen die Sorgearbeit machen, müssen hier Verantwortung übernehmen. Sie sollten die Gremien, die sie haben, nicht nur dafür nutzen, dass sie eine Liste denkbarer Aufsichtsrätinnen zusammenstellen, sondern dass sie gemeinsam überlegen: Wie können wir diesen transnationalen Müttern helfen?

Ausgebeutet werden auch  Frauen aus Osteuropa in der Kranken- und Altenpflege. Das wird geduldet, weil niemand  eine vernünftige Alternative sieht. Gibt es die wirklich nicht?

Doch die gibt es. Und ich denke, die Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation sind ein erster Schritt auf diesem Weg. Weil sie klarstellen, dass die Grundrechte auch für diese Frauen gelten, vor allem die Bestimmungen, die ganz grundsätzlich die Rechte dieser Frauen regeln.

Was ist mit dem Heer der Minijobberinnen, die  später  nur eine Minirente haben werden?

Nicht jede Frau möchte Karriere machen, manchen geht es wirklich nur darum, das zu verdienen, was sie im Falle von Krankheit, Kündigung oder im Alter absichert. Das geht  nicht mit Minijobs. Man darf die Frauen nicht bei ihren kurzfristigen Interessen bedienen. Minijobs und sonstige Anreize, die dazu führen, dass die Frauen im Augenblick Geld verdienen, aber im Alter arm dran sind, müssen verhindert werden.

Wenn Sie an Ihre  Enkelinnen denken: Welche Wünsche sind noch offen?

Das ist vor allem der Wunsch, dass man Familie und Beruf vereinbaren kann. Das steht natürlich für die Frauen, von denen wir eben gesprochen haben, nur auf dem Papier. Da wurde bisher noch nichts getan, um ihre Situation zu verbessern.

Eine Rezension des Buchs „Wahre Hyänen“ von Jutta Limbach über ihre Urgroßmutter Pauline Staegemann lesen Sie hier.

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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