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Ein Jahr PiS-Regierung: Nehmt Polen ernster!

Seit einem Jahr regiert die PiS-Partei Polen mit absoluter Mehrheit. Das Land hat sich verändert, doch die Zivilgesellschaft hat den Nationalkonservativen um Regierungschefin Szydło auch ihre Grenzen aufgezeigt. Um die Wähler von der PiS zurückzugewinnen, hilft jedoch nur eins.
von Felix Bethmann · 16. November 2016
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Nicht erst seit der Wahl Donald Trumps zum nächsten Präsidenten der USA wird offenbar, dass viele Menschen sich nach einfachen Antworten auf komplexe Fragestellungen sehnen und „postfaktische“ Politikansätze zum Wahlerfolg führen können. Brexit, Erdogan, Front National – das „argumentum ad populum“ reüssiert.

Populismus allein reicht nicht

Ich studiere derzeit im Rahmen eines Auslandsjahres an der Jagiellonen-Universität in Krakau und profitiere so nicht nur von neuen Erfahrungen, sondern erlebe vor Ort den Alltag in einem Land, das ebenfalls immer wieder genannt wird, wenn es um Beispiele für den politischen Erfolg des Populismus geht. Doch in Polen zeigt sich vor allem eines: Wer Mindesterwartungen an öffentliche Daseinsvorsorge nicht erfüllt, bekommt dies an der Wahlurne zu spüren.

Was ist in Deutschland eigentlich bekannt über das erste Regierungsjahr der Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS, „Recht und Gerechtigkeit)? Im Wesentlichen beschränken sich die Nachrichten über Polens neue Regierung auf drei Ereignisse: die Reform und de facto Entmachtung des Verfassungstribunals, umfassende Neubesetzungen in den öffentlich-rechtlichen Medienanstalten und die nach großen Protesten (czarny protest) wieder kassierte Verschärfung des ohnehin schon beispiellos restriktiven polnischen Abtreibungsgesetzes.

Die Vorgängerregierung hat ihren Anteil am Erfolg der PiS

In der Tat: Diese Beispiele zeigen deutlich, mit welcher Härte die PiS-Regierung gesellschaftlichen Wandel zugunsten ihrer konservativ-katholischen Werte vorantreibt. Viele meiner polnischen Kommilitoninnen und Kommilitonen nahmen an den Protesten teil, kritisieren den erstarkenden Nationalismus und monieren eine zunehmende gesellschaftliche Spaltung.  

Der Erfolg der PiS ist jedoch auch ein direktes Resultat neoliberaler Politik der Tusk-Partei Platforma Obywatelska (PO, „Bürgerplattform), die in den acht Jahren an der Macht daran gescheitert ist, Antworten auf soziale Fragen zu finden und vielfach als abgehoben wahrgenommen wurde. Und sie ist ein Resultat der Schwäche der progressiven Kräfte in Polen. Polens Wirtschaft boomt zwar seit Jahren, spürbare Verbesserungen der Lebensumstände sind für die Menschen jedoch nicht auszumachen. Die Arbeitsbedingungen sind schlecht, die Löhne niedrig, es fehlt ein funktionierendes Sozialsystem und die folgerichtige Arbeitsemigration führt insbesondere junge Menschen allen voran nach England, Irland und Deutschland.

Polen und die Angst vor Russland

Die PiS, eine Partei, in der viele ehemalige Angehörige der flügelübergreifenden Gewerkschaft Solidarność aktiv sind, die sich als wertkonservativ begreifen, beruft sich auf die katholische Soziallehre und stellt damit eine natürliche Alternative zur Politik der Vorgängerregierung dar. Am ehesten ist sie wohl mit der CSU in Bayern zu vergleichen. Im polnischen Parlament, dem Sejm, ist nicht mal mehr eine politische Kraft links der Mitte vertreten. Das wird sich nur ändern, wenn progressive Parteien soziale Fragen tatsächlich glaubhaft angehen und Alternativen aufzeigen.

Hinzu kommt eine in den ostmitteleuropäischen Staaten allgegenwärtige Angst vor der Politik Russlands unter Wladimir Putin. Die Ukraine ist Nachbarland, es gibt eine gemeinsame Grenze zur Exklave Kaliningrad und das Wissen um die geopolitische Lage Polens zwischen Deutschland und Russland sowie die daraus resultierenden historischen Folgen für Polen sind den Polen sehr präsent. Diese Angst mag aus deutscher Sicht irrational wirken, aber sie führt konkret zu dem weit verbreiteten Wunsch nach sicherheitspolitischen Maßnahmen und einer stärkeren Präsenz der NATO im Land. Auch hier lassen sich nachvollziehbare Emotionen nur zu gerne von markigen Sprüchen der Politiker locken.

Die Zivilgesellschaft in Polen funktioniert

Wenn es in diesen Tagen etwas Positives festzustellen gibt, dann sicherlich, dass die Zivilgesellschaft in Polen funktioniert. Die Massenproteste gegen eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes sind dafür das beste Beispiel. Ansonsten geht es wohl schlicht darum, Polen ernster zu nehmen, es stärker in die Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene einzubinden, kritisch anzusprechen, was in guten Partnerschaften angesprochen werden muss, aber auch ernsthaft auf die Sorgen und Befindlichkeiten der ostmitteleuropäischen Partner in EU und NATO einzugehen.

Außerdem glaube ich zutiefst daran, dass persönlicher Austausch hilft: sich kennen zu lernen, miteinander zu sprechen, für einen längeren Zeitraum im Ausland zu leben und Beziehungen zu knüpfen.

Die Regierung muss sich um die Abgehängten kümmern

Wählerbeschimpfung hilft jedenfalls auch ein Jahr nach den Parlamentswahlen und der absoluten Mehrheit für PiS nicht weiter. Die demokratische Auseinandersetzung hilft. Der Streit um das bessere Argument hilft. Und eine wahrhaftige Hinwendung zu denjenigen, die tatsächlich abgehängt und perspektivlos sind. Die neoliberale „Bürgerplattform“ hatte im Wahlkampf übrigens versprochen dafür zu sorgen, dass in ganz Polen warmes Wasser aus dem Hahn kommt. Und das nachdem sie acht Jahre das Land regiert hatte.

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Felix Bethmann

(26) studiert den Masterstudiengang Osteuropäische Kulturstudien an der Universität Potsdam und verbringt derzeit ein Auslandsjahr an der Jagiellonen-Universität in Krakau.

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